Ende einer Ära
Von Bernard Schmid, Paris
Es ist zumindest ein wichtiges, bedeutungsvolles Symbol, wie unter anderem der in Dakar lehrende Geschichtsprofessor Mor Ndao betont. Er erklärte gegenüber Radio France Internationale (RFI): »Es geht um Einheiten, die ununterbrochen seit dem 19. Jahrhundert, seit der Kolonialperiode im Senegal (stationiert, jW) waren, die sich seit über 150 Jahren festgesetzt hatten. Dass das nun in Frage gestellt wird, ist ein Symbol für sich.« Den Anlass für seine Äußerungen bildete ein Ereignis, das nicht nur er mehr oder minder euphorisch begrüßt hat: der am vorigen Donnerstag mit einer feierlichen Zeremonie abgeschlossene Abzug der französischen Armee von ihren Basen in der senegalesischen Hauptstadt Dakar, dem Camp Geille und einer Militärbasis am internationalen Flughafen. Die Einrichtungen, die ihr bisher als Infrastruktur dienten, wurden an die senegalesischen Streitkräfte übergeben. Am Sonnabend stattete Staatspräsident Bassirou Diomaye Faye ihnen einen offiziellen Besichtigungsrundgang ab.
Ende November hatte der seit April desselben Jahres amtierende junge Präsident diesen Abzug in einem Interview mit der Pariser Abendzeitung Le Monde angekündigt, unter anderem mit den Worten: »Es wird bald keine französischen Soldaten im Senegal mehr geben.« Er bezeichnete ihre langjährige Präsenz darin als »Anomalie« in einem »souveränen Land«. Der damals 44jährige fügte ferner hinzu, der von ihm geforderte und nunmehr vollzogene Abzug der französischen Truppen aus dem Land bedeute keinen Abbruch der Beziehungen: Der Senegal unterhält auch bilaterale Beziehungen zu Ländern wie China, den USA, der Türkei und Saudi-Arabien – ohne dass diese deswegen Truppen stationiert hätten.
Die Ankündigung erfolgte kurz vor dem Gedenken zum 80. Jahrestag des Massakers von Thiaroye: Am 1. Dezember 1944 hatte die französische Armee im dortigen Militärcamp unweit von Dakar je nach Angaben zwischen siebzig und mehreren hundert senegalesische Weltkriegssoldaten – Tirailleurs sénégalais –, die die Zahlung ihres seit Monaten ausbleibenden Solds forderten, abgeschlachtet. Erstmals wurde vergangenes Jahr an dieses Verbrechen auch in Frankreich erinnert, und Emmanuel Macron benutzte in einem Brief an seinen Amtskollegen Faye vom 28. November zum ersten Mal den bislang tabuisierten Begriff »Massaker«. Am 19. und 20. Dezember konnte eine Historikerkommission unter senegalesischer Beteiligung französische Archive dazu konsultieren. Im Senegal wurde Anfang Dezember angekündigt, in Zukunft werde dieses Ereignis auch an Schulen des Landes unterrichtet, was bis dahin nicht der Fall war. Allerdings löste es eine Polemik aus, dass Präsidentenberater und Infrastrukturminister Cheikh Oumar Diagne am 21. Dezember die Tirailleurs als »Landesverräter« bezeichnete, weil diese Soldaten später Frankreich auch bei der Niederschlagung von Aufständen in anderen Kolonien gedient hätten. Die übrige Regierung distanzierte sich daraufhin von ihm.
Selbst Frankreichs früherer Botschafter in Dakar von 2010 bis 2013, Nicolas Normand, kommentierte dazu vergangenen Donnerstag in der französischen Boulevardzeitung Le Parisien: »Diese französischen Basen waren ein Symbol der Françafrique« (siehe dazu die Randspalte), und: »Aus der Sicht des Senegal ist das Verschwinden dieser sichtbaren französischen Präsenz, die als neokolonial betrachtet werde konnte, eine Genugtuung.« In Normands Zeit als Repräsentant Frankreichs in dem westafrikanischen Land fällt im übrigen auch der erste Teilabzug der französischen Armee aus Dakar im August 2011. Zuvor waren 1.200 französische Soldaten dauerhaft dort stationiert. Damals wurde ihre Zahl auf 350 reduziert, eine Basis im Hafen von Dakar wurde übergeben, und die seit 1974 so bezeichneten »Französischen Streitkräfte des Cap-Vert« (FFCV) wurden formal aufgelöst, bevor am darauffolgenden Tag die nunmehrigen »Französischen Einheiten im Senegal« (EFS) an ihre Stelle traten.
Allerdings war auch der in jenen Tagen amtierende französische Präsident Nicolas Sarkozy längst zur Auffassung gekommen, dauerhaft vor Ort lebende Soldaten in übergroßer Zahl stellten nur eine finanzielle Last dar, man ersetze sie besser teilweise durch eine Kooperation mit einheimischen Streitkräften – die viele ihrer Aufgaben zur »Aufrechterhaltung der Ordnung« übernehmen würden –, und notfalls könne man Truppen direkt aus Frankreich zusätzlich einfliegen. Sarkozys damaliger Amtskollege im Senegal, der liberale Macky Sall, konnte ferner als zuverlässiger Partner gelten und pochte jedenfalls weniger auf die Eigenständigkeit der früheren Kolonien gegenüber der vormaligen Metropole als heute sein direkter Amtsnachfolger Faye.
Im darauffolgenden Jahr 2012 wurde dann prompt ein »militärischer Kooperationsvertrag« zwischen den Regierungen in Paris und Dakar abgeschlossen, der insbesondere vorsah, die noch auf senegalesischem Boden befindlichen französischen Soldaten als Instrukteure und Ausbilder der einheimischen Soldaten einzusetzen. Nicolas Normand sagt für die nähere Zukunft eine »militärische Kooperation« mit dem Senegal zu »Ausbildungszwecken« voraus, aber ohne dauerhafte und sichtbare französische Präsenz. Und Strategieexperte Thierry Vircoulon vom Französischen Institut für internationale Beziehungen (IFRI) spricht seinerseits von der künftigen Bedeutung des Austauschs nachrichtendienstlicher Informationen zwischen den Armeen beider Länder.
Hintergrund: Frankreichs Einfluss schwindet
Was bleibt von der Françafrique? Unter diesem Begriff fasste der 2005 verstorbene Aktivist und Autor François-Xavier Verschave 1998 in einem Buch ein post- und neokoloniales zwischenstaatliches Beziehungsgeflecht zusammen. Eine Struktur, die es Frankreich erlaube, politisch und ökonomisch weitgehende Kontrolle über die pro forma seit 1960 unabhängigen, ehemals von ihm kolonisierten Länder in Afrika beizubehalten.
Was deren militärische Ebene betrifft, ist in vielen Fällen der Rückgang des neokolonialen französischen Einflusses zu verzeichnen. Aus den drei Kernländern des Sahel, also Mali, Burkina Faso und Niger, in denen zwischen August 2020 und Juli 2023 neue Militärregierungen die Macht übernahmen und relativ junge Offiziere als »Übergangspräsidenten« einsetzten – aus dem Übergang wird allerdings nun erkennbar ein dauerhafter Zustand –, wurde die französische Armee daraufhin hinausgeworfen.
Im Tschad fand kein Machtwechsel statt, und die langjährige Diktatur der Familie von Idriss Déby Itno wird von dessen Sohn Mahamat Idriss Déby fortgesetzt. Außenpolitisch ging auch er auf stärkere Distanz zu Paris. Am 28. November kündigte er den Abzug der französischen Armee an, dieser begann am 10. Dezember und endete im Januar dieses Jahres.
Im Gabun putschte die Armee unter dem damaligen General und Chef der elitären Präsidentengarde Brice Oligui Nguema gegen den Clan von Omar Bongo und seinem Sohn Ali Bongo, die von 1967 bis 2023 das Präsidentenamt innehatten. Nguema machte sich zum neuen Präsidenten. In der Folge wurde die französische Militärbasis in Libreville, vor zehn Jahren fasste sie noch 1.200 Soldaten, in ein »gemeinsames Ausbildungslager« der Armeen beider Länder umgewandelt. Heute sind dort noch 200 französische Militärs präsent. Als große Militärbasis verbleibt Frankreich aktuell noch die von Dschibuti am Horn von Afrika mit rund 1.500 Militärs. (bsc)
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