Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 26.09.2024, Seite 12 / Thema
Altersvorsorge

Die Rente ist sicher

Das System der gesetzlichen Rentenversicherung ist stabil, kann Armut im Alter jedoch nicht verhindern. Reformen wären, wenn gewollt, nicht kompliziert
Von Florian Osuch
Sorgenfrei chillen im Alter? Das ist, entsprechende Reformen vorausgesetzt, auch mit dem bestehenden System der gesetzlichen Rentenversicherung für alle möglich
Abbildung 1 zeigt die lineare Verknüpfung zwischen Einkommen und Entgeltpunkten. Im Zentrum steht das Durchschnittseinkommen aller Versicherten, dafür gibt es genau einen Entgeltpunkt. Für ein höheres Einkommen gibt es mehr Punkte, für niedrige Einkommen weniger. Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze sind beitragsfrei.
In Abbildung II ist das Verhältnis von Einkommen und Rentenpunkten nicht linear, sondern progressiv. Durchschnittsverdiener erhielten nicht einen, sondern etwa 1,4 Entgeltpunkte (plus 40 Prozent), Geringverdiener bei einem halben Durchschnittsgehalt – sozial gerecht – einen ganzen Entgeltpunkt (plus 100 Prozent). Für ein doppeltes Durchschnittseinkommen gäbe es statt zwei etwa 1,9 Entgeltpunkte (minus fünf Prozent).

Im Juli veröffentlichte die Bundesregierung Zahlen, wonach fast 1,1 Millionen Rentnerinnen und Rentner in Deutschland trotz 45 Beitragsjahren weniger als 1.200 Euro monatlich erhalten.¹ Sie gehören zur Gruppe der besonders langjährig Versicherten. Sie haben meist direkt nach der Schule zu arbeiten begonnen und waren dann oftmals durchgehend abhängig beschäftigt, oder andere Stellen haben Beiträge zur Rentenversicherung abgeführt, zum Beispiel für Wehr- und Zivildienst oder den Bezug von »Arbeitslosengeld I«. Erfragt hatte die Zahlen die BSW-Bundesparteivorsitzende Sahra Wagenknecht, die daraufhin mitteilte: »Es kann nicht sein, dass 1,08 Millionen Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet und in die Rentenkasse eingezahlt haben, mit so mickrigen Renten abgespeist werden, dass es nicht zum Leben reicht!«

Wie ist das möglich und was müsste getan werden, damit Armut im Alter in dieser Form verhindert werden kann? Um das zu beantworten, ist zunächst die Funktionsweise der Rentenversicherung näher zu betrachten. Eine Generalabrechnung mit der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) ist nicht nötig, das übernehmen bereits oft schlecht informierte Journalisten, wirtschaftsnahe »Experten« und Lobbyisten der Versicherungsbranche. Dieser Text zeigt, wie die Rente stabil bleibt und welche Maßnahmen Altersarmut bekämpfen könnten.

Transparentes System

Wenn hier von Rente gesprochen wird, ist die Altersrente gemeint. Die GRV bietet neben Altersrenten auch Witwen-, Waisen- und Erwerbsminderungsrenten sowie Maßnahmen zur Rehabilitation. Die Breite in der Absicherung ist eine große Stärke der GRV. Private Anbieter würden Kunden ein halbes Dutzend Verträge aufschwatzen und dabei jedes Mal hohe Provisionen kassieren. Laut Tim Köhler-Rama, Professor am Fachbereich Sozialversicherung der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Berlin, gibt es in Deutschland kein Versicherungsprodukt, das »eine ähnlich breite Palette an Leistungen in den Risikobereichen Alter, Invalidität und Tod aufweist wie das staatliche Rentensystem«.²

Versicherte sammeln durch Pflichtbeiträge »Entgeltpunkte«, die später in Renten umgewandelt werden. Zurzeit sind das 9,3 Prozent von Lohn oder Gehalt, der »Arbeitgeber« steuert den gleichen Betrag dazu. Auch das ist eine Stärke der GRV: Versicherte zahlen nur die Hälfte, ganz im Gegenteil zur privaten Absicherung, bei der die Kosten alleine gestemmt werden müssen. Wie viele Entgeltpunkte eine Person jährlich erhält, hängt vom Verhältnis des eigenen Einkommens zum Durchschnittseinkommen ab. Das Verhältnis zwischen persönlichem Einkommen und Entgeltpunkten zeigt Abbildung 1. Für das Jahr 2023 betrug ein durchschnittliches Jahresgehalt 43.142 Euro. Die Umwandlung ist zunächst linear: Mit einem durchschnittlichen Jahresgehalt erhielte man beispielsweise einen Entgeltpunkt (»1,0«), bei einem halben Durchschnittslohn einen halben (»0,5«) und auf Grundlage eines doppelten zwei (»2,0«). Die Anrechnung mehr als zweier Entgeltpunkte pro Jahr ist jedoch nicht möglich, denn es greift eine sogenannte Beitragsbemessungsgrenze. Für Einkommen oberhalb dieser Grenze werden in Deutschland keine Beiträge abgeführt. Dieser Wert ist festgelegt in der »Verordnung über maßgebende Rechengrößen der Sozialversicherung«³ und ist Teil des Sozialgesetzbuchs VI (SGB VI). Das ist ein weiterer Vorteil: Die GRV ist weitgehend transparent und durch demokratische Verfahren legitimiert. Kommerzielle Anbieter dagegen verschleiern oft ihre Kalkulationen sowie hohe Gebühren und Provisionen. Die Verbraucherzentrale Hamburg untersuchte private Rentenversicherungen und fand heraus, dass beispielsweise Allianz-Versicherte »mindestens 125 Jahre alt werden (müssten), bis die bis zum Renteneintritt angesparte Summe in voller Höhe ausgezahlt würde«.⁴ Gewinner solcher Produkte sind die Versicherungskonzerne.

Rechengröße »Rentenwert«

Zur Berechnung der individuellen Altersrente werden – sofern keine Abzüge aufgrund eines früheren Renteneintritts zu berücksichtigen sind – die persönlichen Entgeltpunkte mit dem aktuellen »Rentenwert« multipliziert. Der Rentenwert beträgt aktuell 39,32 Euro. Hat eine Versicherte beispielsweise 45 Jahre lang immer exakt so viel Einkommen bezogen wie der Durchschnitt, hat sie 45 Entgeltpunkte auf dem Konto. Daraus ergibt sich derzeit folgende Gleichung: 45 × 39,32 Euro = 1.769 Euro Rente (brutto) pro Monat. Wer allerdings 45 Jahre lang lediglich halb so viel Lohn wie der Durchschnitt erhalten hat, kommt mit seinen 22,5 Entgeltpunkten nur auf magere 885 Euro. Jene, die 45 Jahre lang jeweils das Doppelte des Durchschnitts »verdient« haben, erhalten für 90 Entgeltpunkte eine monatliche Altersrente in Höhe von 3.539 Euro. In keinem der Fälle spielt es eine Rolle, ob Teil- oder Vollzeit gearbeitet worden ist. Es zählt einzig der persönliche »Verdienst« im Verhältnis zum Durchschnittseinkommen.

Der Rentenwert wird jeweils zum Juli von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats festgelegt. Seine Berechnung ist sehr komplex und ebenfalls im SGB VI geregelt. Die sogenannte Rentenanpassungsformel berücksichtigt aktuelle Entwicklungen von Löhnen und Gehältern sowie das Rentenniveau, das derzeit bei 48 Prozent liegt. Wenn Renten also erhöht werden, geht es um eine Anhebung des Rentenwerts.

Eine individuelle Berechnung ist allerdings selten so modellhaft. Zeiten der Ausbildung, des Studiums, der Kindererziehung, Elternzeit, Erwerbslosigkeit, längerer Krankheit, Wehr-, Ersatz- oder Freiwilligendienste, »Mini-« und »Midijobs«, Weiterbildungen, Bezug von »Hartz IV« oder Bürgergeld fließen ganz unterschiedlich in die Ermittlung der Rente ein. Entsprechende Regelungen im SGB VI werden zudem kontinuierlich verändert. Ein Zusammenhang ist allerdings offensichtlich, und das ist ein großer Nachteil der linearen Verknüpfung zwischen individuellem Einkommen und Rentenhöhe: Dauerhafte Arbeit zu einem niedrigen Lohn oder längere Phasen ohne Beiträge haben unmittelbar eine niedrige Rente zur Folge. Diese Personengruppe kann in der Regel auch wenig privat vorsorgen. So ist es vermutlich auch bei den eingangs erwähnten fast 1,1 Millionen Rentnerinnen und Rentnern, die trotz 45 Beitragsjahren nur eine Minirente bekommen. Aufgrund der Lohnunterschiede in Ost und West sind auch die Renten ungleich, im Westen höher als im Osten. Ein Gefälle gibt es auch zwischen Frauen und Männern, zuungunsten von Frauen. Mit einer Ausnahme: Allein infolge der deutlich höheren Berufsquote von Frauen in der DDR haben jene Rentnerinnen, die bis 1990 in der DDR lebten, zumindest durchschnittlich höhere Altersbezüge.

Die GRV unterscheiden sich ganz grundlegend zum Beispiel von der Krankenversicherung, wo es keinen Zusammenhang zwischen der Höhe der Beiträge und der Höhe der Leistungen gibt. »Gutverdiener«, die sozialversicherungspflichtig tätig und nicht privat versichert sind, zahlen weit höhere Beiträge für die Krankenversicherung als »Geringverdiener«. Gegenüber Ärzten, in Krankenhäusern und Apotheken macht das in der Regel allerdings keinen Unterschied.

Statistiken, die täuschen

Mit Vorsicht müssen allerdings Statistiken zur durchschnittlichen Rente insgesamt betrachtet werden. Ein »Durchschnitt« bedeutet hier »›die Summe der Altersrenten‹ geteilt durch ›die Anzahl der Rentnerinnen und Rentner‹«. Solange die Dauer der Beitragszahlung unberücksichtigt bleibt, täuschen solche Aufstellungen. Eine Minirente hat zwar in vielen Fällen Armut im Alter zur Folge, jedoch nicht immer. Es gibt Bezieher niedrigster Renten, die durch andere Einkommensquellen teils üppige Gesamteinkünfte haben, etwa aus Vermietung, Photovoltaikanlagen, Firmenanteilen oder Aktienerlösen. Inhaber erfolgreicher Unternehmen leben oftmals von den Gewinnen ihrer Firmen und können trotzdem eine kleine Rente bekommen – Armutsgefahr besteht in diesen Fällen nicht. Einzige Voraussetzung: Es muss die Mindestversicherungszeit von fünf Jahren erfüllt sein. Etwas anders verhält es sich bei den oftmals »gutverdienenden« Selbständigen. Hierzu zählen etwa viele Anwälte, Immobilienmakler, niedergelassene Ärzte, Notare, Steuerberater etc. Je nach Branche sind sie in berufsständischen Versorgungswerken versichert, die der GRV gleichgestellt sind.⁵

Nach der Mikrosicht folgt der Blick auf das Gesamtsystem der GRV. Monatlich werden die Einnahmen zur Deckung der Ausgaben, insbesondere jener für die Altersrentenfinanzierung, genutzt – das ist das sogenannte Umlageverfahren. Die »arbeitende Generation« finanziert die Renten der Ruheständler und erwirbt dabei einen gesetzlichen Anspruch auf ihre eigene Rente. Anders als bei der privaten Vorsorge wird kein Kapital angespart. Kommerzielle Anbieter und die berufsständischen Versorgungswerke legen die Beiträge in Aktien, Anleihen etc. an. Um Schwankungen auszugleichen, bildet die GRV eine »Nachhaltigkeitsrücklage«, die den Beitragssatz beeinflusst. Beim Überschreiten eines bestimmten Niveaus wird der Beitrag gesenkt, beim Unterschreiten erhöht. Trotz Warnungen vor einer starken Erhöhung ist der Beitragssatz in den vergangenen 30 Jahren sogar stetig gesunken und soll laut aktuellem »Rentenbericht der Bundesregierung« sogar bis 2027 unverändert bleiben.

2022 nahm die Rentenversicherung etwa 246 Milliarden Euro aus Pflichtbeiträgen ein. Weitere Einnahmen stammen von freiwillig Versicherten (z. B. Selbständige), der Bundesagentur für Arbeit oder Bundeszuschüssen. Der Anteil der Zuschüsse an den Gesamtausgaben liegt seit 20 Jahren kontinuierlich bei rund 23 Prozent, Tendenz sinkend. Insgesamt summierten sich die Einnahmen auf 363 Milliarden Euro, während die Ausgaben knapp 360 Milliarden Euro betrugen. Rund 90 Prozent davon gingen an Rentenbezieher. Weitere Ausgaben waren etwa die Krankenversicherung für Rentner oder berufliche Rehabilitation.

Kritik gibt es oft wegen der hohen Bundeszuschüsse. Die FDP sprach 2021 gar von einem »Zusammenbruch« des Systems und warb für die »Aktienrente«.⁶ Dina Frommert, seit Juli 2023 Leiterin der »Abteilung GQ 0600 – Forschung und Entwicklung« der GRV-Trägerin Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund), wurde dagegen Anfang 2024 in der DRV-Zeitschrift Zukunft jetzt mit der Aussage zitiert, die jährlichen Zahlungen von »rund 100 Milliarden Euro aus Bundesmitteln« dienten dazu, »nicht beitragsgedeckte Leistungen zu decken«.⁷ Der Gesetzgeber verpflichtet die DRV/GRV, Leistungen zu zahlen, für die keine Beiträge geleistet wurden. Beispiele sind Höherbewertungen von Renten aus der DDR oder für Zeiten der Berufsausbildung. Teilnehmer einer Fachschule führen keine Rentenbeiträge ab, bekommen jedoch bis zu 0,75 Rentenpunkte pro Jahr gutgeschrieben. Ähnliches gilt für die Zeit der Kindererziehung, die inzwischen mit bis zu drei Rentenpunkten belegt ist, obwohl niemand Beiträge zahlt. Solche Bundeszuschüsse sind also kein Zeichen eines Defizits, sondern Ausdruck eines einigermaßen intakten Sozialstaats.

Kritiker der GRV haben an anderer Stelle oftmals überhaupt kein Problem mit einer staatlich subventionierten Altersvorsorge. Die Pensionen für Lehrer, Bischöfe, Staatssekretäre und andere Beamte oder die oftmals üppigen Bezüge von Abgeordneten sind zu 100 Prozent steuerfinanziert.

Bürgerversicherung

Häufig wird gefordert, dass alle Berufstätigen, auch Selbständige, Beamte etc. in eine Bürgerversicherung einzahlen. In Österreich ist dies der Fall. Hierzulande würde dies der GRV kurz- und mittelfristig hohe Einnahmen bringen, aber langfristig auch höhere Renten zur Folge haben. Dieser zweifelsfrei überfällige Schritt würde jedoch keine Minirenten trotz langer Beitragszeiten verhindern. Entscheidend ist dafür, die starre Verbindung zwischen Beitragszahlungen und Rentenhöhe zugunsten von »Gering- und Durchschnittsverdienern« zu lösen, ähnlich wie bei der progressiven Lohnsteuer.

Wie das lineare Verhältnis zwischen »Verdienst« und Entgeltpunkten durch eine progressiv steigende Verknüpfung ersetzt werden könnte, zeigt Abbildung 2. Profitieren würden Personen mit sehr geringen, mittleren und etwas über dem Durchschnitt liegenden Einkommen. Wenn zudem der Mindestlohn sowie die unteren und mittleren Einkommen steigen, dürfte die Altersarmut deutlich reduziert werden. Gleichzeitig sollte die Beitragsbemessungsgrenze angehoben werden, zum Beispiel auf das Dreifache des Durchschnittsgehalts, etwa 130.000 Euro im Jahr 2023. »Gutverdiener« können höhere Beiträge verkraften. In der Schweiz gibt es für die Rentenversicherung überhaupt keine Beitragsbemessungsgrenze.

Dieses Modell würde eine Umverteilung innerhalb der Rentenversicherung darstellen. Der Reichtum der Superreichen, die meist außerhalb der GRV leben, bleibt unberücksichtigt. Seit 1991 ist das Volkseinkommen um 150 Prozent gestiegen, während der Spitzensteuersatz um 20 Prozent gesenkt und die Vermögenssteuer ausgesetzt wurde. Der Ökonom und jW-Autor Klaus Müller schlägt deshalb vor: »Die Entwicklung der Rente sollte an die der Produktivität und der Preise – oder an die des Volkseinkommens – gekoppelt werden. Der Staatshaushalt gleicht die Differenz zwischen dem Aufkommen an Beiträgen und dem Auszahlungsbedarf aus.«⁸

Stabiles System

Entgegen regelmäßiger Behauptungen ist die GRV recht stabil. Der Börsencrash beim Platzen der »dot.com«-Blase (2001–2002), die globale Finanzkrise (2008–2009) sowie die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie überstand die Rentenversicherung ohne jede Erschütterung. Sogenannte Expertinnen und Experten sehen jedoch seit Jahren die Zukunftsfähigkeit der GRV aufgrund des demographischen Wandels oder wegen des Renteneintritts der »Babyboomer« in Gefahr. So schrieb etwa Antje Erhard von der ARD-Finanzredaktion am 7. November 2023 auf tagesschau.de: »(I)mmer weniger Beitragszahlenden stehen immer mehr Rentnerinnen und Rentner gegenüber.« Die Alten würden, frei paraphrasiert, zudem immer älter, so dass Renten insgesamt länger bezahlt werden müssten.

Die Behauptung der Journalistin Erhard ist falsch. Noch nie gab es hierzulande so viele Menschen, die in die Rentenversicherung eingezahlt haben. Die Zahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter ist laut Statista-Angaben in den vergangenen 20 Jahren von knapp 27 Millionen auf zuletzt 34,9 Millionen gestiegen (plus 30 Prozent). Zwar stieg auch die Zahl der Altersrentner im gleichen Zeitraum an, jedoch nur um 16 Prozent.

Beim Verhältnis zwischen Beitragszahlenden und Rentnern kommt es auf die jeweilige Dauer an, wie lange eingezahlt und wie lange eine Rente bezogen wird. Das durchschnittliche Renteneintrittsalter liegt heute bei 64,2 Jahren, nachdem es in den 1980er Jahren auf 61,9 Jahre gesunken war.⁹ Es gibt aktuell nicht nur immer mehr Menschen, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, sie gehen auch immer später in Rente, auch weil das Renteneintrittsalter weiter erhöht wird.

Die Lebenserwartung hat sich in den industrialisierten Staaten seit 1850, als sie bei rund 45 Jahren lag, bis heute fast verdoppelt. Vor einigen Jahren wurde gar eine »Gesellschaft der Hundertjährigen«¹⁰ prognostiziert. Doch seit einigen Jahren stagniert hierzulande die Lebenserwartung, zuletzt ist sie infolge der Covid-19-Pandemie sogar gesunken. Die durchschnittliche Bezugsdauer der Rente ist zwischen 1982 und 2012 gestiegen, stagniert jedoch ebenfalls. Es geht in aktuellen Diskussionen häufig um die »Babyboomer« – Menschen, die in der geburtenstarken Zeitperiode 1955–1969 geboren wurden, und von denen derzeit peu à peu viele in Rente gehen; deren Renteneintritte die GRV also überdurchschnittlich belasten könnten. Rund ein Drittel dieser Gruppe bezieht bereits Rentenzahlungen. Der »Höhepunkt der Neurentner« wird etwa im Jahr 2030 erreicht sein, danach fällt die Zahl der jährlichen »Rentenzugänger« ein ganzes Jahrzehnt lang drastisch ab, analog zum Absinken der Geburtenrate. Die Herausforderungen durch die »Babyboomer« für die GRV sind also auf wenige Jahre begrenzt.

Die Geburtenrate steigt

Wichtig für den demographischen Wandel ist die »Geburtenrate«, die laut aktueller Arbeitsdefinition des Statistischen Bundesamts anzugeben gedenkt, »wie viele Babys im Durchschnitt eine Frau im Laufe ihres Lebens bekommen würde, wenn die Verhältnisse dieses Jahres unverändert blieben«. Liegt der Wert langfristig unter »2,0«, bedeutet das eine Schrumpfung der Bevölkerung. Die »Rürup-Kommission« nahm in ihrem Jahresbericht von 2003 an, die Rate werde in Deutschland langfristig bei unter »1,4« liegen. Doch entgegen dieser Annahme stieg der Wert kontinuierlich an und lag bereits zehn Jahre später bei »1,42«. Einwanderung dämpft Schrumpfung und Alterung der Bevölkerung in Deutschland. Sowohl bei den registrierten Asylbewerbern als auch bei den Zuzügen infolge des Ukraine-Kriegs ist der Anteil von Kindern und Jugendlichen besonders hoch. Es kommen also vor allem jene, die ihr Berufsleben noch vor sich haben. Ihnen eine dauerhafte Bleibeperspektive, gute Kitas, Schulausbildung und schnelle berufliche Integration zu ermöglichen, sicherte auch die Zukunftsfähigkeit der Rentenversicherung.

Anmerkungen

1 Vgl. Vorabfassung der Bundestagsdrucksache 20/12293, Berlin 2024, darin: »Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin Kerstin Griese« vom 17. Juli 2024 auf die am 15. Juli 2024 eingegangene Frage 69, S. 47–48

2 Tim Köhler-Rama: Das Rentensystem verstehen. Einführung in die Politische Ökonomie der Alterssicherung, dritte, aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2018, S. 65

3 Im Detail ist es etwas komplizierter, weil die Verordnungen vom Bundeskabinett und vom Bundesrat jeweils für das folgende Jahr erlassen werden. Die darin veröffentlichen Werte sind vorläufig und werden später auf Basis der tatsächlich erfassten Daten korrigiert.

4 Vgl. Verbraucherzentrale Hamburg, o. A.: »Private Rentenversicherungen lohnen sich nur für Schildkröten«, 28. Juni 2022, online: vzhh.de/themen/versicherungen/lebens-rentenversicherung/private-rentenversicherungen-lohnen-sich-nur-fuer-schildkroeten

5 Freiberufliche Hebammen, Künstlerinnen oder selbständige Pflegepersonen unterliegen laut SGB VI, zweiter Paragraph, trotz Selbständigkeit der Versicherungspflicht.

6 Vgl. FDP-Bundesgeschäftsstelle, o. A.: »FDP wirbt für gesetzliche Aktienrente«, 5. August 2021, online: fdp.de/fdp-wirbt-fuer-gesetzliche-aktienrente

7 Heimo Fischer: »Einfach mal die Fakten sprechen lassen«, Zukunft jetzt 1/2024, online: zukunft-jetzt.deutsche-rentenversicherung.de/012024/einfach-mal-die-fakten-sprechen-lassen; siehe auch Dina Frommert mit Ute Klammer im Sozialpolitikblog-Gespräch »Alterssicherung braucht empirische Forschung« vom 6. Juli 2023, online: difis.org/blog/?blog=68

8 Klaus Müller: Die Rente, Köln 2021, S. 116

9 Alle Zahlen nach Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, o. A.: »Renteneintrittsalter«, Stand 25. September 2024, online: demografie-portal.de/DE/Fakten/renteneintrittsalter.html

10 Vgl. Björn Schwentker und James W. Vaupel: »Eine neue Kultur des Wandels«, in: Aus Politik und Zeitgeschehen 10–11/2011, S. 3–10

Florian Osuch schrieb an dieser Stelle zuletzt am 12. Dezember 2023 über die Opioidkrise in den USA.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Christel H. aus Aschersleben (26. September 2024 um 18:18 Uhr)
    Was, bitte, sind denn Höherbewertungen von Renten in der DDR? Und was, bitte, hat die höhere Berufsquote von Frauen in der DDR mit den jetzt tatsächlich ausgezahlten Renten zu tun? Woraus schließt der Autor, daß die Rentnerinnen, die bis 1990 in der DDR lebten, durchschnittlich höhere Renten beziehen? Daß nämlich auch das Gegenteil der Fall ist, wird hier mit keinem Satz erwähnt. Mit dem Rentenüberleitungsgesetz von 1991/92 wurden 17 Berufs- und Personengruppen aus der DDR gravierend und lebenslänglich beim Rentenbezug benachteiligt. Es liegt also nicht nur an geringen Einkünften während Zeiten der Arbeit, sondern auch an willkürlichen Eingriffen in die Rentenberechnung, die mickrige Renten generieren.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in André M. aus Berlin (26. September 2024 um 11:27 Uhr)
    Kurz und knapp und gut erläutert! Herzlichen Dank!

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