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Aus: Ausgabe vom 22.07.2025, Seite 4 / Inland
ARD-Sommerinterview gestört

Krach ohne Klassenstandpunkt

»Zentrum für Politische Schönheit« stört Weidel-Interview und erntet Kritik
Von Niki Uhlmann
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»Tornado der Demokratie«: Mit diesem Gefährt will das ZPS den Faschismus aufhalten (Berlin, 23.2.2025)

Es »dürfte ein denkwürdiger TV-Moment« gewesen sein, feierte das Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) am Montag seine Demonstration gegen das ARD-Sommerinterview mit AfD-Bundessprecherin Alice Weidel am Vortag. Das ZPS hatte seinen als »Tornado der Demokratie« beworbenen Lautsprecherwagen namens »Adenauer SRP+« gegenüber vom Marie-Elisabeth-Lüders-Haus geparkt, um das dortige Gespräch von Weidel und Moderator Markus Preiß durch Lärm zu erschweren oder zu unterbinden. Beide hätten einander nicht verstanden und dennoch »unbeirrt« weitergemacht: »Vielleicht das perfekte Sinnbild für unsere Gesellschaft.«

Doch die Feierlaune will sich über das ZPS und seinen Dunstkreis hinaus nicht ausbreiten – ganz im Gegenteil ist die öffentliche Resonanz überwiegend kritisch. Noch am Sonntag abend teilte die ARD auf Nachfrage der dpa mit, dass sie im eigenen sowie »im Interesse des Publikums« Vorkehrungen treffen werde, um einen »ungestörten Ablauf der Interviews« zu gewährleisten. Preiß selbst gab gegenüber der »Tagesschau« an, er würde dieses Interview nicht gut in Erinnerung behalten.

»Wenn man die AfD stark machen will, soll man ruhig solche Interviews stören«, kritisierte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann das ZPS am Montag gegenüber NTV. Man könne ein Fünftel der Wähler nicht einfach »kaputtschreien«, sondern müsse die AfD inhaltlich bekämpfen. Im Interview sei doch das »Geschäftsmodell« der AfD deutlich geworden, nämlich Stimmungsmache mit »schlechten Nachrichten«. Dass der rechte Regierungsblock unter Ägide der Union die AfD stellen wird, darf allerdings genauso bezweifelt werden wie die behauptete Wirkung der Störaktion auf die politischen Mehrheitsverhältnisse.

Ähnlich äußerte sich die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht gleichentags gegenüber Welt: »Wer glaubt, die AfD niederschreien zu müssen, demonstriert damit nur seine eigene undemokratische Arroganz und Hilflosigkeit.« Wer ferner einen »Sinn für Fairness« habe, müsse »sich abgestoßen fühlen«, wetterte sie gegen »Mundtotmachen« und »Cancel Culture«. Zu Wort meldete sich bei Welt auch der stellvertretende FDP-Chef Wolfgang Kubicki, der über das Kalkül Weidels mutmaßte. Er hätte das Interview abgebrochen; Weidel aber habe die Störaktion genutzt, um zu »dokumentieren«, dass die AfD »von der ARD unfair behandelt« werde.

Tatsächlich wärmen einige paranoidere AfD-Anhänger auf der Plattform X unter dem Schlagwort »#ScheißARD« die Verschwörungserzählung vom linksgrünen Staatsfunk auf. Fabuliert wird dort sogar die Kabale, dass ARD, Polizei und Demonstranten unter einer Decke stecken würden. Diese Stimmung hat der Vizechef der AfD-Bundestagsfraktion, Markus Frohnmaier, aufgegriffen und bei Politico eine Wiederholung des Interviews »unter fairen Bedingungen« gefordert. Weidel, die zwecks Beantwortung der Publikumsfragen im zweiten Teil übrigens ein angemessenes Mikrophon bekommen hatte, kann sich nun dadurch in Szene setzen, dass sie auf diese Wiederholung nicht besteht.

ZPS-Sprecher Philipp Ruch wollte von der Kritik an der Aktion nichts wissen. »Um richtig groß zu werden«, brauche die AfD »nicht die politische Kunst«, bemerkte dieser auf dpa-Nachfrage. Ferner bekräftigte er, dass das ZPS »nicht einen Cent« staatliche Förderung erhalte. Weidel hatte im Interview geraunt, man wisse nicht, ob der Protest »nicht mit deutschen Steuergeldern« finanziert werde.

Das ZPS will offenbar nicht wahrhaben, dass seine Kritiker recht haben, dass der parlamentarische Arm faschistischer Netzwerke nicht durch lautes Skandieren von »Scheiß AfD« niedergerungen wird. Für das, was Alice Weidel gesagt hat, interessiert sich indes niemand mehr.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas G. aus Bonn (22. Juli 2025 um 10:24 Uhr)
    Sehr geehrte Herr Uhlmann, ich habe Teile des Interviews mit Frau Weidel in der ARD gesehen – das Interview ganz zu sehen hätte mir einen unerträglichen Brechreiz verursacht – und fand die Aktion des Zentrums für Politische Schöhnheit sehr amüsant. Allerdings haben Sie Recht, wenn Sie am Ende Ihres Artikels schreiben, dass jetzt alle über den Protest reden, aber niemand auf die Aussagen und die Art des Interviews im Allgemeinen eingeht. Das tun Sie in Ihrem Artikel leider auch nicht. Auch Sie schreiben nur über die Reaktionen auf diesen Protest. Wenn Frau Weidel sich einerseits bei ihren rassistischen Argumenten auf ihre Autorität als Volkswirtin stützt, beim Thema Klimawandel aber »die Wissenschaft« verunglimpft, könnte man schon mal darauf eingehen. Das hätte auch der Moderator Markus Preiß meiner Meinung nach machen müssen. Allerdings hat er Frau Weidel genau so mit Samthandschuhen angefasst, wie ich das aus diesen »Interviews« mit anderen Politikern gewohnt bin. Ich vermisse Kritik an der Interviewführung des Moderators und den rassistischen Aussagen von Frau Weidel auch in Ihrem Artikel. Ich hätte z. B. noch folgendes kritisiert: Wenn Frau Weidel schon von ihrem Gespräch mit Elon Musk schwärmt, warum fragt der Moderator nicht nach, wieso sie in diesem Hilter als »sozialistischen Kommunisten« bezeichnet hat und hätte sie diese Formulierung mal erläutern lassen. Dabei wäre sie vermutlich schön ins Schwimmen gekommen. Wieso wird Frau Weidel nie auf ihren beruflichen Werdegang (u. a. Goldmann Sachs, Allianz) oder ihre Föderung durch DAAD und Konrad-Adenauer-Stiftung angesprochen. So könnte man ihrer Selbstdarstellung als Anti-Establishment-Kandidatin sehr schnell den Wind aus den Segeln nehmen. Das sind nur zwei mögliche Kritikpunkte an diesem Interview. Mit freundlichen Grüßen, Andreas Gohlke
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (22. Juli 2025 um 13:45 Uhr)
      Vielen Dank für die relevante Argumentation, Andreas S.!

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