Steil nach unten
Von Jörg Kronauer
Ob er wirklich stattfindet, der EU-China-Gipfel, der für diesen Donnerstag angekündigt ist? Noch vor wenigen Tagen schien es, als ob beide Seiten trotz allen eskalierenden Streits einen Modus vivendi gefunden hätten. Die Volksrepublik hatte das ursprünglich auf zwei Tage angesetzte Treffen auf einen Tag gekürzt, dafür aber EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident António Costa, die die Union auf dem Gipfel vertreten sollen, vor ihrem Arbeitstreffen mit Ministerpräsident Li Qiang ein gemeinsames Frühstück mit Präsident Xi Jinping zugestanden. Kurz zuvor hatte Xi noch erwogen, seine Teilnahme an dem Gipfel ganz abzusagen. Dann kam das 18. Sanktionspaket der EU gegen Russland, mit dem das europäische Staatenkartell ganz nebenbei auch Sanktionen gegen zwei chinesische Banken verhängte, denen Brüssel vorwirft, seiner Forderung, Russland zu isolieren, nicht nachzukommen. Beijing protestierte am Wochenende gegen die Willkürmaßnahme und kündigte Reaktionen an.
Dass die Beziehungen zwischen der EU und China sich binnen kürzester Zeit so rapide verschlechtern würden, das war bis vor kurzem kaum absehbar gewesen. Noch im April, nur wenige Tage nachdem US-Präsident Donald Trump seine bislang umfassendste Zollwelle ausgelöst hatte, hatte von der Leyen Bemühungen gestartet, das Verhältnis zu China zu verbessern: Neue Chancen im China-Geschäft sollten eine gewisse Rückendeckung für den Wirtschaftskrieg mit den Vereinigten Staaten bieten. Beijing nahm das Angebot prompt an, hob Ende April die Sanktionen gegen mehrere EU-Abgeordnete auf, die es 2021 verhängt hatte, und warb intensiv um eine Annäherung. Die chinesische Botschaft in Brüssel habe die Zahl ihrer Mitarbeiter aufgestockt und etwa EU-Abgeordnete nach China eingeladen, zitierte das Portal Table Media den Vorsitzenden der EU-China-Delegation, Engin Eroglu: »Wir spüren, dass die chinesische Vertretung alles versucht, egal wie teuer, das Mindset gegenüber China hier zu verändern.«
Dann freilich begannen die Zollverhandlungen mit den USA. Heute ist vielfach belegt, was man zunächst nur ahnen konnte: Die Trump-Administration verlangt als Gegenleistung gegen Zollerleichterungen die Zusage der anderen Seite, umfassende wirtschaftliche Maßnahmen gegen China zu ergreifen – nicht bloß Zölle auf Stahl und Elektroautos aus der Volksrepublik, sondern eine Übernahme von US-Exportbeschränkungen und neue Schritte gegen chinesische Investitionen. Großbritannien hat einige Zugeständnisse gemacht; die EU verhandelt noch. Das ist der Hintergrund, vor dem von der Leyen zunächst Mitte Juni auf dem G7-Gipfel, dann am 8. Juli vor dem EU-Parlament wüste Verbalattacken gegen China startete, die sich kaum anders verstehen lassen als ein Versuch, die bilateralen Beziehungen mutwillig zu beschädigen. Die Hoffnung, Trump könne sich damit zufriedengeben und Zollerleichterungen zustimmen, trog: Am 11. Juli kündigte der US-Präsident an, die Zölle auf Einfuhren aus der EU ab dem 1. August auf 30 Prozent aufzustocken. Warum auch nicht: Verdirbt Brüssel es sich mit Beijing, fehlen ihm Alternativen; dann kann Washington seine Forderungen erhöhen.
Und nun? China sendete noch in der vergangenen Woche ein Entspannungssignal und hob seine 2021 verhängten Sanktionen gegen Reinhard Bütikofer, damals EU-Abgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen. Bütikofer war Ende April nicht von ihnen befreit worden, da er dem EU-Parlament nicht mehr angehört. Die EU hingegen verhängte im Rahmen ihres 18. Sanktionspakets gegen Russland auch die erwähnten Sanktionen gegen Banken aus China. Sie begleitet das mit einer PR-Kampagne, die altbekannte Vorwürfe gegen die Volksrepublik erhebt – angeblich zu hohe Subventionen, Überproduktion, unzureichender Marktzugang für EU-Unternehmen – und sich nebenbei beschwert, Beijing komme Brüssel politisch und ökonomisch nicht genug entgegen. Wieso es das tun soll, wenn die EU ihrerseits mit den USA über die Übernahme von deren antichinesischen Maßnahmen verhandelt, bleibt freilich unklar.
Und der für Donnerstag geplante Gipfel, der eigentlich auch das fünfzigjährige Bestehen diplomatischer Beziehungen zwischen der EU und der Volksrepublik feiern sollte? Trifft es zu, was ein namentlich nicht genannter EU-Funktionär Table Media berichtete, dann will von der Leyen unter anderem Chinas »Unterstützung bei Sanktionen« gegen Russland »und die Unterlassung jeglicher direkter oder indirekter Unterstützung für Moskau fordern«. Faktisch läuft das auf die Forderung nach Aufgabe einer eigenständigen Außenpolitik hinaus – ganz im Stil des Auftretens der »Europäer« im 19. Jahrhundert in Beijing. Dass die Volksrepublik sich Diktaten nach Kolonialherrenart beugen wird, darf man ausschließen. Für den Gipfel verheißt das aggressive Vorgehen der EU nichts Gutes.
»Die Europäer haben sich eingebildet, dass die Amerikaner, weil sie Verbündete und Freunde sind, sich mehr um sie kümmern und gnädiger zu ihnen sein würden« – so erklärte sich kürzlich Shi Mingde, ein ehemaliger Botschafter Chinas in Deutschland, das Vorgehen der EU. »Tatsache« sei aber, »dass es den USA nur noch um Unilateralismus geht«. Man müsse sich im klaren darüber sein, dass die »innen- und außenpolitische Lage« der EU unverändert »schwierig« sei: »Die Wirtschaft ist schwach, die Flüchtlingsproblematik ist prominent, die sozialen Widersprüche und strukturellen Probleme haben zugenommen«. Darüber hinaus sei »die Handlungsfähigkeit der Regierungen, auch der EU-Institutionen«, »beeinträchtigt«. Ein Sprecher des chinesischen Handelsministeriums führte das aggressive Vorgehen der EU denn auch auf »große Angst« zurück, die ihrerseits ein Resultat ökonomischer Schwäche sei: das »Ergebnis unzureichender Forschungsinvestitionen« etwa, »des Rückgangs der industriellen Wettbewerbsfähigkeit«. Shi hoffte kürzlich noch, auf dem EU-China-Gipfel würden beide Seiten zumindest noch »die generelle Richtung und Grundsätze für die künftige Entwicklung der Beziehungen zwischen China und Europa festlegen können«. Das mag sein. Womöglich aber führt die Richtung, die sich auf dem Gipfel ergibt, steil nach unten.
Hintergrund: Klimapolitik
Wenn sonst nichts geht, geht immer noch der Dialog über das Klima: Das war lange Zeit ein recht verlässlicher Grundsatz der China-Politik der EU und unter Präsident Joe Biden auch der USA. Auch diesmal ist vor dem EU-China-Gipfel am Donnerstag, auf dem mit einer völlig festgefahrenen Konfrontation gerechnet werden kann, von einer gemeinsamen Erklärung zum Klimaschutz die Rede. Und das liegt ja auch nahe. Deutschland und einige weitere Staaten der EU haben schon früh begonnen, auf die Technologien der Energiewende zu setzen. China hat nachgezogen und sich eine starke, in einigen Branchen gar dominante Position auf dem Weltmarkt gesichert. Beide Seiten haben also ein Interesse daran, die einschlägigen Segmente ihrer Industrien weiter zu fördern oder, das klingt ja besser, den Klimaschutz voranzutreiben. Natürlich mag dabei ein Wunsch nach der Verhinderung einer Klimakatastrophe eine Rolle spielen. Die Verankerung dieses Wunschs in den treibenden Kräften der Ökonomie bietet allerdings erst Gewähr dafür, dass er sich realisiert.
Genau deshalb könnte es diesmal mit einem Minimalkonsens, festgehalten im Medium der Klimapolitik, schwierig werden. Denn die Industrien der Energiewende sind in der EU unter Druck geraten, nicht zuletzt aufgrund starker, teils übermächtiger chinesischer Konkurrenz. Politischen Ausdruck findet dies nicht zuletzt darin, dass die EU mit der Festlegung ihrer Klimaziele für 2035 und für 2040 arg in Rückstand geraten ist – eine schlechte Ausgangslage für die Gespräche, die die EU-Kommissare für Wettbewerb und Klima, Teresa Ribera und Wopke Hoekstra, Anfang vergangener Woche zur Vorbereitung des EU-China-Gipfels in Beijing führten. Die EU prescht mittlerweile sogar in Sachen Klima mit Angriffen auf die Volksrepublik vor. Beijing müsse endlich ernst mit der Reduktion der Treibhausgase machen und aus der Kohleverstromung aussteigen, schimpfte Hoekstra anlässlich seines Besuchs in der chinesischen Hauptstadt. Ob es auf dem Gipfeltreffen für einen Konsens reicht – wer weiß. (jk)
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