Das ist nicht Onkel Bombie
Von Marc Hieronimus
Zombies kennt man aus »The Walking Dead« (Comic und Serie) und diesen Filmen von George Romero mit »… of the Dead« im Titel. Cineasten kennen noch »White Zombie« mit Bela Lugosi von 1932, basierend auf »The Magic Island« von William Seabrock. In Videospielen wie »Resident Evil« kommen sie vor. »Zombie« heißt auch dieses bekannte Vier-Akkorde-Lied von den Cranberries. Und Bombie the Zombie ist eine Figur aus einer der ersten Dagobert-Duck-Geschichten von Carl Barks: Vor langer Zeit auf den Geizhals angesetzt, gelangt der gutmütige Bombie irgendwann nach Entenhausen und übergibt irrtümlich Donald die für Dagobert vorgesehene piksige Voodoo-Puppe. Der glaubt sich nun vergiftet und reist mit den Neffen nach Afrika, um den Zauber rückgängig zu machen. All diese Zombies (bis auf die letzten beiden) finden auch im »Zombie«-Band der »Comic-Bibliothek des Wissens« im Berliner Verlag Jacoby & Stuart Erwähnung, allerdings nur am vorderen Rande, also in der unbebilderten Einleitung.
Das Büchlein selbst beschäftigt sich ausschließlich mit dem realen Phänomen der Vergiftung und magischen Betörung von Menschen auf Haiti. Der Autor Philippe Charlier ist kein Spinner, sondern ausweislich des Klappentextes »Gerichtsmediziner und Anthropologe, Spezialist für den Tod und Friedhöfe« und hat die Knochen so illustrer Persönlichkeiten wie der Jungfrau von Orléans und des Postkartenmalers aus Braunau am Inn identifiziert. Zeichner Richard Guérineau verzichtet auf Verfremdungseffekte und liefert mit Kohlestift und Südseelicht und -farben die je passende Atmosphäre von karibischer Entspanntheit, Filmdoku und Horrorstreifen.
Die erste Erwähnung in der europäischen Literatur finden Zombies bereits Ende des 17. Jahrhunderts, nämlich im Roman »Le Zombi du Grand-Pérou ou La comtesse de Cocagne« des frivolen Autors Pierre-Corneille Blessebois – wenn man nicht schon die Untotenarmeen der Bibel (Ezechiel 37,6) als Zombies verstehen will. Bis zum heutigen Tag, erfährt die erstaunte Comicleserin, werden auf der Karibikinsel Menschen vergiftet, als vermeintlich tot begraben und noch in derselben Nacht exhumiert, in einen anderen Teil des Landes verbracht und dort als ideale, weil willen- und kostenlose Arbeitssklaven ausgenutzt. Meist trifft es Menschen, die sich durch üble Taten oder Respektlosigkeit gegenüber einem Voodoo-Geistlichen in Verruf gebracht haben, manchmal aber auch ganz Unbeteiligte, denn der Zaubertrankbrauer infiziert seine Opfer über präparierte Haushaltsgegenstände oder Kleidungsstücke, die auch Unbescholtenen in die Hände fallen können.
Die Praxis ist natürlich verboten. Artikel 246 des haitianischen Strafgesetzbuchs über tödliche Vergiftungen sagt ausdrücklich: »Auch wird als ein Anschlag auf das Leben durch Vergiftung betrachtet, wenn dieser in der Anwendung von Substanzen besteht, die, ohne zu töten, einen mehr oder weniger lang andauernden lethargischen Zustand hervorrufen, gleichviel, auf welche Weise diese Substanzen angewandt worden sind und was die Folgen waren.« Der Zombiehalter muss verhindern, dass seine günstigen Mitarbeiter Salz zu sich nehmen, das weckt sie nämlich wieder auf. Es gibt daher auch Exzombies, die nach dem Erwachen ein neues Leben angefangen und zum Beispiel geheiratet haben. Allerdings verläuft die Wiedereingliederung nicht immer so glimpflich. Viele Familien wollen nicht glauben, dass der Wiedergänger wirklich Onkel Bombie ist. Im besten Fall läuft es umgekehrt und ein Zombifizierter wird durch Zufall von einem Verwandten erkannt. Dann schaut man in sein Grab. Findet man dort nur Steine oder die Gebeine eines Haustiers, macht man dem Zombie einen Gegentrunk und seinem Halter den Prozess.
Ja, aber die Filmzombies, die wir seit den 1960ern kennen …? Sie sind das »Symbol einer Gesellschaft, die den Menschen verschlingt – oder, andersherum, verkörpern die Abgeschobenen und Ausgeschlossenen des Systems.« Und warum treten sie seit den 2000ern gehäuft und noch widerlicher auf? Jetzt sind sie »Ausdruck der Ängste, die die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Veränderungen der Zeit auslösen.« Darum sich zu Hause weiter engagieren. Und bei Fernreisen den Salzstreuer nicht vergessen.
Philippe Charlier (Autor), Richard Guérineau (Zeichner): Zombies: Das Leben jenseits des Todes. Comic-Bibliothek des Wissens. Aus dem Französischen von Edmund Jacoby. Verlag Jacoby & Stuart, Berlin 2025, 75 Seiten, 14 Euro
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