Kollateralschaden G20
Von Christian Selz, Kapstadt
Scott Bessent hatte zumindest den Anstand, andere Termine vorzuschieben: Der US-Finanzminister reise zur Weltausstellung ins japanische Osaka, ließ er bereits Anfang des Monats durch seine Behörde erklären, weshalb er dem Treffen der G20-Finanzminister und Notenbankchefs fernbleiben werde. Schon im Februar war Bessent zu einem G20-Treffen nicht angereist, damals hatte er via X nicht näher definierte »Verpflichtungen in Washington« vorgeschoben. Die Symbolik hinter den Schritten: Nichts ist weniger wichtig als ein Treffen dieser Staatengruppe. Es gibt zwei wesentliche Gründe, warum die USA das von ihnen einst maßgeblich mitgegründete Forum schneiden: Den G20-Vorsitz Südafrikas in diesem Jahr und die Absicht Washingtons, das Format der veränderten politischen Ausrichtung der US-Regierung anzupassen, sprich: globale Kontrolle nicht mehr durch Kooperation, sondern durch Konfrontation zu sichern.
Kaschiert wird das Vorhaben, wie so oft in der Regierung Trump, mit vorgeblichem Kulturkampf. Bessents Kabinettskollege Marco Rubio lieferte dazu – zur Begründung auch seines Fernbleibens von einem G20-Ministertreffen in Südafrika im Februar – die einschlägigen Stichworte. »Südafrika macht sehr schlechte Sachen. Privateigentum enteignen«, ließ er in Social-Media-Prosa über X wissen und äffte damit seinen Chef Trump nach, der in unregelmäßigen Abständen Ähnliches behauptet, bisweilen garniert mit Vorwürfen eines ebenso herbeiphantasierten Völkermords im Land an der Südspitze Afrikas. Rubio arbeitete sich zugleich am Motto der südafrikanischen G20-Präsidentschaft ab: Der offizielle Slogan »Solidarität, Gleichheit, Nachhaltigkeit« stehe in Wirklichkeit für »DEI« (Vielfalt, Gerechtigkeit und Inklusion; englisch: Diversity, Equity and Inclusion) »und Klimawandel«, für den US-Außenminister also »Steuergeldverschwendung und Antiamerikanismus«.
Rubio greift Phrasen wie »Solidarität, Gleichheit, Nachhaltigkeit«, bis vor kurzem global akzeptierte Schlagworte aus dem Baukasten für internationale Sonntagsreden und chronisch vernachlässigte UN-Entwicklungsziele, deshalb so scharf an, weil er damit einerseits innenpolitisch im egoistischen MAGA-Lager punkten will. Zugleich passt die Attacke aber auch zum Ziel Washingtons, seine Außenpolitik von einem Kurs der Kontrolle durch Umarmung zu entfernen, bei dem die vorgebliche Übernahme von Verantwortung für die Klimakatastrophe sowie das Eintreten für einen Basissatz an liberalen Menschenrechten eine Rolle spielten. Ersetzt wird dieser Ansatz durch einen der offensiven Erpressung, im Trump-Sprech: durch »Deals«.
Dabei ist auch Finanzminister Bessent voll auf Linie, der am Rande des Frühjahrstreffens von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank im April in Washington bemängelte, dass der IWF »unverhältnismäßig viel Zeit und Ressourcen für Arbeit zum Klimawandel, zu Gender und sozialen Themen« verwende. Dies sei »nicht die Aufgabe des IWF«. Bessent benannte statt dessen die »globale währungspolitische Zusammenarbeit und Finanzstabilität« als Kernthemen der Bretton-Woods-Institutionen. Kurz gesagt: Die USA wollen die politische Gestaltungsmacht internationaler Institutionen zurückfahren. Der eigene Außenhandel soll zwar weiter durch grundlegende, von Washington dominierte Regeln abgesichert, aber bitte nicht durch Umwelt- und Sozialregularien behindert werden. Entsprechend will die US-Regierung auch das Format G20 schwächen und auf ein Forum zur Festlegung von internationalen Handelsrahmen beschränken. Um dieses Ziel umzusetzen, wartet Washington aber auf die Zeit ab Dezember, wenn die USA selbst die Präsidentschaft der Staatengruppe übernehmen.
Dass Südafrika bis dahin nahezu als Schurkenstaat an den Pranger gestellt wird, hat aber noch weitere außenpolitische Gründe. Die wichtigsten zwei: Die haltlosen Vorwürfe angeblicher Enteignungen und des Völkermords in dem Land sollen die Regierung in Pretoria diskreditieren, um deren entschiedenes internationales Eintreten gegen die Kriegsverbrechen Israels in Gaza sowie die entsprechende Klage wegen Völkermords vor dem Internationalen Gerichtshof zu schwächen. Darüber hinaus ist Washington das Erstarken der Staatengruppe BRICS, zu der neben Südafrika auch unter anderem China, Indien, Russland und Iran gehören, ein Dorn im Auge. Für den Fall, dass Mitglieder der Staatengruppe den Handel untereinander vom US-Dollar entkoppeln und in einer eigenen Währung abwickeln könnten, hat Trump bereits mit massiven Strafzöllen gedroht, obwohl ein solcher Schritt momentan überhaupt noch nicht absehbar ist. Die Bissigkeit des US-Staatschefs zeigt aber zweierlei: dass ihm die globale Dominanz des US-Kapitals wichtiger ist als internationale Regeln und dass BRICS in der Lage sein könnte, sie zu bedrohen. In dieser Auseinandersetzung könnten die G20 zum Kollateralschaden werden.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (19. Juli 2025 um 14:13 Uhr)Der Satz »Der Dollar ist unsere Währung, aber euer Problem« bringt die jahrzehntelange globale Dominanz der USA auf den Punkt. Mit dieser Machtposition hat Washington nicht nur seine eigenen Interessen durchgesetzt, sondern auch internationale Institutionen zu Werkzeugen seiner Geopolitik gemacht – auf Kosten anderer. Dass nun immer mehr Länder beginnen, diese Dominanz zu hinterfragen und alternative Strukturen fordern, ist keine Überraschung, sondern eine längst überfällige Reaktion. Der Wandel hat bereits begonnen – und er ist unumkehrbar. Ob diese Veränderungen jedoch zu einer gerechteren, stabileren Weltordnung führen, bleibt offen. Die alten Machtzentren werden ihre Position nicht kampflos aufgeben. Sicher ist nur: Die Zeit der unangefochtenen Vorherrschaft ist vorbei – und der globale Kampf um die Regeln von morgen hat längst begonnen.
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