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Aus: Ausgabe vom 15.07.2025, Seite 11 / Feuilleton
Landlust

Wut

Aus der Provinz
Von Jürgen Roth
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Lieblingsvogel: Rotmilan

»Heute Freitag«, sagte der Große Malaka. »Diese Woche weg!«

Er schaute traurig drein und machte eine wegwerfende Handbewegung, als sei das Leben insgesamt zum Wegschmeißen.

Er trug eine Gangstersonnenbrille, so im Stil von Joe Pesci. Er entflammte eine. Mein Freund Soko bebrütet seit einiger Zeit die Idee, ein Buch des Titels »Philosophie mit dem Baseballschläger« zu schreiben, in dem er Schopenhauers Lehre mit den von Joe Pesci verkörperten, zu einer gewissen Entschiedenheit neigenden Mafiafiguren engführen will – die Welt als Wut und Verkommenheit.

Mein Blick fiel auf den Schaukasten des Bundes Naturschutz. Wut stieg in mir hoch. Ich stellte mir vor, wie ich auf einer Versammlung des Ortsvereins das Wort ergriffe und deklamierte: »Wer diesen Verband noch ernst nehmen möchte, muss sofort mit aller denkbaren Wucht die Windkraft als das brandmarken, was sie ist: das größte Kulturlandschafts- und Naturvernichtungswerk aller Zeiten! Sollte ein solcher Beschluss nicht gefasst werden, trete ich augenblicklich aus!«

Ich bin kein Mitglied im BUND. Ich war nie Mitglied in irgendwelchen »Vereinen« (George Clooney), außer, als Kind und als Jugendlicher, im Schwimm-, im Judo- und im Handballverein (und im Schachklub; und, ja, ich war kurzzeitig an der Gründung der PDS Hessen beteiligt, habe aber nie ein Ausweispapier unterzeichnet).

Der Lügner und Schmierlappen Prof. Habeck (Universität Honolulu) entgegnete mal auf die Frage, was er dazu sage, dass seine Monstermühlen die hiesigen Greifvögel zerfetzen, zumal den Rotmilan, von dessen weltweiter Population um die siebzig Prozent in Deutschland beheimatet sind, er, der minderbemittelte Rotmilan, der nicht einsehe, das »Weltklima« retten zu müssen, solle »halt nach Frankreich umziehen«. Allein dafür gehörte er in den Knast geschmissen (der Habeck, dieses Totalgenie – nicht der Rotmilan).

»Im Reich der Lüfte / König ist der Weih«, schrieb Schiller im »Wilhelm Tell«. Der Rotmilan war der Lieblingsvogel meines Vaters. Neben der Wohnzimmertür hängt das Originalgemälde, das F. W. Bernstein für die »Kritik der Vögel« gefertigt hat. Thomas und ich haben es damals, 2014, unseren Eltern geschenkt, nachdem Fritz es uns übereignet hatte.

Er thront auf einem Granitpodest, das rostrot-weiß-schwarze Gefieder ist feinst schraffiert und getüpfelt, die Krone schwebt wie ein Yogiflieger über seinem Haupt, und er lugt außerordentlich skeptisch nach links unten. Anmutigste Weltverneinung.

Unter den filigranen Rahmen hat unser Vater einen Schwarzweißausdruck eines Fotos geklebt, das den Rotmilan im Flug zeigt – die ausgebreiteten Schwingen, der gegabelte Schweif, eine vollkommen schwebende Existenz.

Der Große Malaka, festgenagelt auf seinem Stuhl, sagte beharrlich nichts. Ich richtete die Augen nach rechts oben, hinauf zum mit braunroten und lindgrünen Rautenschindeln gedeckten Turm von St. Nikolai, wo vor einem Jahr der Trauergottesdienst abgehalten worden war. Und, ungelogen, genau in diesem Moment tauchten zwei Rotmilane auf, mitten im Dorf, kreisten neun Meter über mir, wippten hin und her, stiegen auf, ließen sich fallen, glitten um die Kirche herum, minutenlang, flogen noch etwas herunter, schlugen zwischendurch gemächlich und genüsslich mit den Flügeln, schweigend, wandelnd durch diese St.-Nikolai-Luft, vielleicht aus oder zum Spaß.

Ich mag den schnöden, faulen Mäuse­bussard gern. Er neigt allerdings zum hochtrabenden Getue, zum sattelitenüberwachungshaften Up-into-the-air-Gebaren. Der tiefer segelnde Rotmilan spielt lieber, er präsentiert sich dir mit Freude, mit seiner guten Laune – kein kaltblütiger Aar, den Menschen entrückt.

Es war, als grüßte Vater mich – der liberalste Konservative, den ich jemals kannte. Ich verdrückte ein wenig Augenflüssigkeit und rief nach einem Gutmann.

Ich drehte den Kopf nach links. Ein beigefarbener Pkw bog von der Bahnhofstraße in die Hauptstraße ein, und von rechts schrammte ihm ein blauer Wagen in die Frontpartie.

Herrje! dachte ich, gerate ich als Zeuge jetzt wieder in die Papierapparatur des Staates hinein und muss für die Behörde einen Bericht verfassen? Zum wievielten Male denn?

Die harmlos beschädigten Autos kamen vor dem »Seven Bistro« zum Stehen. Die junge Frau, deren Gefährt touchiert worden war, stieg aus und erlitt einen Nervenkrampf. Ich hatte alle Hände voll zu tun, sie zu beruhigen – es sei doch kaum etwas passiert, die Schuldfrage sei klar, das werde sich alles beheben lassen.

Aus dem anderen Auto schälten sich drei ältere Damen heraus, auch auf die musste ich gemütsdämpfend einreden. Meine Güte, ist ein bisschen Blech.

Da fuhr – Zufall – ein Streifenwagen vorbei. Ich winkte, er hielt. Der Polizist war sehr freundlich. Er regelte das. Nein, er müsse meine Kontaktdaten nicht notieren.

Hernach gab ich den drei Damen Schnaps aus, und irgendwann ging der Tag zu Ende.

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