Gegründet 1947 Dienstag, 15. Juli 2025, Nr. 161
Die junge Welt wird von 3019 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 15.07.2025, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Der schläfrige Blick eines Hundes

Irgendwo im Nirgendwo: Levin Peters und Elsa Kremsers Film »Dreaming Dogs«
Von Wolfgang Nierlin
11.png
Gut zu Fuß

Der Film hebt an im poetischen Tonfall einer mythischen Erzählung: »Einst ertönte im Süden von Moskau der Lärm unzähliger Fabriken. Wenn es Nacht wurde, bewachten streunende Hunde die stillen Hallen. Die Arbeiter belohnten sie dafür mit reichlich Futter.« Doch nach Schließung der Fabriken in postsowjetischer Zeit blieben die Tiere sich selbst überlassen, bis einige gesellschaftliche Verlierer und Randexistenzen in die verlassenen Brachen zurückkehrten, um sich mit den Hunden zusammenzutun. So jedenfalls erzählt es der Text am Beginn des Films »Dreaming Dogs«. Die Filmemacher Levin Peter und Elsa Kremser vermischen fiktive, dokumentarische und surreale Elemente, um von einem wechselwirksamen Abhängigkeitsverhältnis zwischen Mensch und Tier zu berichten. Wenn aus einem (vermeintlich) fahrenden Auto heraus der schläfrige Blick eines Hundes auf die vorbeiziehenden Lichter einer nächtlichen Großstadt fällt, ist das als Illusion und poetische Überhöhung sich überlagernder Bilder und Spiegelungen inszeniert. Das Traumwandlerische des Bildes und das unbestimmt Verinnerlichte des Hundes eröffnen zugleich einen Kontrast zwischen Zivilisation und Natur.

Dieser Gegensatz setzt sich fort im Leben der verarmten Nadeschda Sobezkaja, die mit ihrem Hund Dingo in einer maroden Hütte der verlassenen Industriebrache lebt. Um sie herum überwuchert die Natur alte Gleise, zerfallende Industriegebäude und Ansammlungen von Müll. Gleich ein ganzes Rudel wilder Hunde wird von der alten Frau versorgt. Inmitten von Dreck und ihren verstreuten Habseligkeiten kocht Nadja über dem offenen Feuer Brei für die Hunde. Sie spricht mit ihnen, teilt mit den Tieren ihre Sorgen, als wären es Menschen, und erfährt von ihnen im Gegenzug Schutz und Begleitung. Manchmal muss sie nach Dingo suchen, ein anderes Mal überlässt sie die Hunde sich selbst. Nadjas genaue Lebensumstände bleiben unklar. Einmal sucht sie mit befreundeten Schrottsammlern nach Altmetall auf dem Gelände. Dann wieder ist sie allein mit den Tieren, sitzt mit ihnen einsam am Feuer oder in der spärlich beleuchteten Baracke. Mit diesen Bildern der Abgeschiedenheit evozieren die Filmemacher eine geradezu mythische Zeit im verlassenen Nirgendwo.

Das wilde Leben der Hunde stellt die Verbindung her zu jener kreatürlichen Existenz vor oder jenseits der Zivilisation. Stärker noch als der Mensch sind die Hunde trotz inhärenter, aus ihrer Domestizierung erwachender Widersprüche mit den Elementen der Natur verbunden, deren Rätsel für sie ebenso natürlich wie rätselhaft bleiben. Kremser und Peter folgen ihren tierischen Helden stets auf Augenhöhe in langen, beobachtenden Einstellungen. Sie erzählen dabei ebenso von der Freiheit des Ungezähmten wie von der Einsamkeit der Ausgeschlossenen und Vergessenen. Zugleich vermittelt ihr ungewöhnlicher Film das tröstliche Miteinander von Mensch und Tier. Der somnambule, ins Unbestimmte des nächtlichen Sternenhimmels gerichtete Blick des Hundes Dingo, der manchmal wie ein Phantom kommt und geht, erinnert schließlich an das Rätsel der Existenz inmitten einer großen Verlassenheit.

»Dreaming Dogs«, Regie: Elsa Kremser und Levin Peter, Österreich/BRD 2024, bereits angelaufen

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Mehr aus: Feuilleton