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Aus: Ausgabe vom 12.07.2025, Seite 15 / Geschichte
Atomwaffen

Der nukleare Urknall

Während der Potsdamer Konferenz lief beim »Trinity«-Test in den USA bereits die Generalprobe für Hiroshima
Von Hartmut Sommerschuh
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Die Physiker Norris Bradbury und Seth Neddermeyer bereiten die Plutoniumbombe vor

Am 16. Juli 1945 um 5.29 Uhr durchzuckte ein ungeheurer Lichtblitz die Morgendämmerung in der Jornada-del-Muer­to-Wüste von New Mexico. Die 260 Techniker und Wissenschaftler, die aus entfernten Beobachtungsbunkern zuschauten, waren sprachlos. Theoretisch schien alles klar, praktisch wusste keiner, was wirklich geschah.

In der Bombe lagen sechs Kilogramm schwere Halbkugeln aus Plutonium, umgeben von einem Zylinder aus massivem Uran-238. Sie bildeten den Kern, in dem die atomare Kettenreaktion ablaufen sollte. Der Rest war mit konventionellem Sprengstoff gefüllt. Von allen Seiten angebrachte Drähte waren für eine gleichmäßige Zündung gedacht. Eine konventionelle Explosion sollte so viel Druck aufbauen, dass das Plutonium im Kern komprimiert wird und eine kritische Dichte erreicht, die die Kernspaltung und damit eine atomare Explosion auslöst – so die Theorie. Doch ob das Ganze funktionieren würde, wusste niemand. Deshalb war entschieden worden, vor einem geplanten Einsatz in Japan alles in einer US-amerikanischen Wüste zu testen.

Auf gut Glück

Eine solche Plutonium-Implosionsbombe wurde ursprünglich nicht geplant. Sie war kompliziert, störanfällig und erschien nur bedingt geeignet für einen Einsatz. In den ersten Plänen des Manhattan-Projekts, dem seit 1941 unter Leslie R. Groves laufenden militärischen Atomforschungsprogramm der USA, war eine einfacher konstruierte Uran-235-Bombe vorgesehen.

Doch bis Mitte 1944 hatten die Physiker im Labor in Los Alamos nur einige hundert Gramm Uran-235 zur Verfügung – kaum genug für Experimente. Die nötige Urananreicherung erwies sich als aufwendig und langsam, obwohl es genug »Rohstoff« gab. Nach der Landung der Alliierten in Westeuropa war es den Agenten der Mission »Alsos« gelungen, wichtige deutsche Wissenschaftler zu finden, deren Atomprojekt auszuspionieren und noch vor dem Eintreffen der Roten Armee die Uran produzierenden Auerwerke in Oranienburg zu bombardieren. Vor allem aber erbeuteten die USA in Staßfurt 1.200 Tonnen Uranerz. Es war fast der gesamte deutsche Vorrat, den sie in einer Blitzaktion in Tausenden Holzfässern aus dem künftigen sowjetischen Besatzungsgebiet hinter die eigenen Linien holten und über Antwerpen in die USA brachten. Ihre eigenen Vorräte an Uranerz aus dem Kongo waren fast ebenso groß.

Bei der Vorbesprechung am 16. Juli morgens hatte der verantwortliche wissenschaftliche Leiter, Robert Oppenheimer, die bei der Explosion freigesetzte Energie auf drei Kilotonnen TNT geschätzt, befürchtete aber, dass auch gar nichts geschehen könne. George Kistiakowsky, der Hauptkon­strukteur der Plutoniumbombe, schätzte sie auf 1,4 Kilotonnen. Oppenheimers Mitstreiter Enrico Fermi, der wegen seiner jüdischen Frau 1938 in die USA emigrierte italienische Kernphysiker, bot sogar eine Wette an: Ob die Bombe die Atmosphäre entzünden oder nur ganz New Mexico verwüsten oder doch die gesamte Erde zerstören würde. Anfang Dezember 1942 war ihm an der University of Chicago mit dem Kernreaktor Chicago Pile No. 1 erstmals eine kritische Kernspaltungskettenreaktion gelungen. Aber auch er wusste nicht, was genau geschehen würde.

Wegen Gewittern und eines Blitzeinschlags Tage zuvor wurde die Bombe »The Gadget« (»Das Gerät«) erst kurz vor der Zündung auf einen 30 Meter hohen Stahlmast gehoben.

Tausende Kilometer entfernt, in Potsdam, wartete zu diesem Zeitpunkt US-Präsident Harry S. Truman dringend auf Nachricht. Denn dort begann am nächsten Tag die Konferenz der Siegermächte mit Winston Churchill und Josef Stalin über die künftige Aufteilung Europas. Ein erfolgreicher Atombombentest sollte gegenüber Stalin zu einer Trumpfkarte werden.

Bis zum Tod von Präsident Franklin D. Roosevelt am 12. April 1945 war Truman als Vizepräsident aus der Kriegsplanung herausgehalten worden, hatte nichts über das streng geheime Manhattan-Projekt zur Entwicklung der ersten Atombombe erfahren. Nun aber musste er eine Nation führen, die sich auf mehreren Kontinenten im Krieg befand. Und eine der folgenreichsten Entscheidungen der Geschichte treffen: Bis zum geplanten Abwurf einer Bombe auf Japan waren es nur noch wenige Wochen. Über den wahren Zweck des Projekts jedoch hatte sich Leslie Groves gegenüber einem britischen Wissenschaftler geäußert: »Der wirkliche Sinn der Atombombe ist, unseren Hauptfeind, die Russen, niederzuhalten.«

Heller als alle Sonnen

Die Explosion verwandelte in Sekundenbruchteilen den Wüstensand in grünes Glas, das später den Namen »Trinitit« bekam. Das Licht war so grell, dass selbst weit entfernte Beobachter mit Schweißerbrillen kurz dachten, sie wären erblindet. Ein Brigadegeneral beschrieb den Blitz: »Die gesamte Landschaft war von einem gleißenden Licht erhellt, das um ein Vielfaches heller war als die Mittagssonne.«

Dann folgte eine gewaltige Druck- und Hitzewelle. Sie stürzte in 500 Meter Entfernung einen 200 Tonnen schweren Stahlcontainer um und riss einen drei Meter tiefen Krater in den Wüstenboden. Noch während sich der glühende Feuerball ausdehnte, stieg aus seinem Zentrum eine pilzförmige Wolke auf – heute das Sinnbild einer Atomexplosion. Robert Oppenheimers Bruder Frank erinnerte sich später: »Das Licht des Blitzes drang selbst am Boden durch unsere geschlossenen Augenlider. Als wir hochschauten, sahen wir den Feuerball und dann fast sofort danach diese überirdische Wolke.«

40 Sekunden später erreicht das Grollen der Explosion ihre Ohren. Die pilzförmige, erst hellgelbe, dann rote Wolke war zwölf Kilometer hochgestiegen, ihre Druckwelle noch in 160 Kilometern Entfernung zu spüren. Spätere Berechnungen ergaben, dass die Energiefreisetzung rund 21 Kilotonnen TNT entsprach. Und damit alle Vermutungen übertraf.

Auch bei der Radioaktivität hatte man sich verschätzt. Soldaten in zwei bleiverkleideten Panzern, die nach dem Test auf dem Gelände umherfuhren, erhielten Strahlendosen von bis zu 15 Röntgen. Noch 50 Kilometer entfernt ging ein Regen von strahlenden Partikeln auf Rinderherden nieder und verursachte bei den Tieren schwere Verbrennungen.

Während Truman in Potsdam auf das Ergebnis wartete, wurde die amerikanische Öffentlichkeit zunächst belogen. Schon Wochen vorher hatte das Militär als Pressemitteilung eine Erklärung des Kommandanten des Luftwaffenstützpunktes Alamogordo formuliert: Die am Morgen ringsum beobachtete schwere Explosion hätte ein Munitionsdepot mit viel Sprengstoff und Pyrotechnik betroffen. Erst nach dem Abwurf der Atombombe auf Hiroshima wurde öffentlich über den »Trinity«-Test berichtet.

Tödliche Folgen

In einem Interview mit dem US-Sender CBS erinnert sich Robert Oppenheimer 1965: »Wir wussten, dass die Welt ab jetzt nicht mehr dieselbe sein würde. Einige von uns lachten, einige weinten, die meisten waren still.«

Zwei Milliarden US-Dollar waren in die Entwicklung geflossen. Viele der klügsten Naturwissenschaftler dieser Welt hatten sich von einem Atomwettlauf mitreißen lassen, der 1938 mit der Entdeckung der Kernspaltung durch Otto Hahn und Fritz Straßmann begonnen hatte.

Als Truman eine Woche nach dem Test Stalin am Rande der Potsdamer Konferenz beiläufig etwas über eine Waffe von außerordentlicher Sprengkraft erzählte, regierte der gelassen. Er war durch eigene Spione in Los Alamos längst informiert worden. Schon Anfang Juni hatte der sowjetische Geheimdienst deutsche Experten wie Manfred von Ardenne und den in der Herstellung von hochreinem Uran erfahrenen Laborleiter der Oranienburger Auerwerke, Nikolaus Riehl, aufgespürt und ins Land holen lassen.

Etwa drei Wochen nach der Generalprobe in New Mexico warfen die US-Amerikaner am 6. August 1945 eine Uranbombe auf Hiroshima. Noch von seiner Villa in Potsdam aus hatte Truman per Telegramm den Befehl dafür gegeben. Am 9. August folgte mit »Fat Man« der Abwurf einer wie im »Trinity«-Test erprobten Plutoniumbombe auf Nagasaki. Über 200.000 Menschen kamen ums Leben. 90 Prozent beider Städte wurden zerstört, knapp 98 Prozent ihrer Einwohner starben – entweder direkt oder an den Spätfolgen.

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