Gedenken an Srebrenica
Von Slavko Stilinović
Am Freitag jährte sich das Massaker von Srebrenica zum 30. Mal. Dazu waren zahlreiche Delegationen aus Bosnien und Herzegowina und der ganzen Welt angereist, um den Opfern die letzte Ehre zu erweisen und ihren Familien Respekt zu zollen. Nach der Veranstaltung in einer ehemaligen Batteriefabrik wurden Blumen für die Getöteten niedergelegt. Anschließend begann der religiöse Teil mit der Predigt des islamischen Oberhaupts von Bosnien und Herzegowina, Husein Kavazović. Er leitete auch das Totengebet, an dem Tausende Menschen teilnahmen. Im Anschluss erfolgte die Beisetzung der sterblichen Überreste von sieben Opfern des Massakers.
Srebrenica liegt heute in der Republika Srpska – einer serbisch dominierten, teilautonomen Entität in Bosnien und Herzegowina. Im Juli 1995 waren in und um die ostbosnische Stadt laut UN-Angaben mehr als 8.000 bosnische muslimische Männer und Jungen von Einheiten der Armee der Republika Srpska unter dem Kommando von General Ratko Mladić getötet worden. Auch die serbische paramilitärische Einheit »Skorpione« war beteiligt. Das Massaker ist der erste völkerrechtlich anerkannte Genozid in Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs.
Vor dem Massaker hatte die UNO das traditionell ebenso von bosnischen Serben wie Muslimen bewohnte Srebrenica zur »Schutzzone« erklärt. Doch 370 leicht bewaffnete niederländische »Blauhelme« waren nicht in der Lage, die Einnahme des Gebiets durch serbische Truppen oder die folgenden Massenmorde zu verhindern. Eine offizielle Liste führt 8.372 vermisste oder getötete Personen. Bis 2012 konnten mit Hilfe von DNA-Analysen mehr als 6.800 Opfer aus Massengräbern identifiziert werden.
Serbische Stimmen versuchten später, das Massaker als Vergeltung für Übergriffe bosnisch-muslimischer Einheiten auf serbische Zivilisten darzustellen. Das wurde jedoch vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) und der UNO zurückgewiesen. Die Tötungen waren demnach kein spontaner Akt, sondern geplant. Nahezu alle gefangengenommenen Männer, ob Zivilisten oder Soldaten, wurden in Wäldern erschossen oder zu Exekutionsstätten gebracht, die Leichen mit Hilfe von Baggern in Massengräbern verscharrt. 2004 stufte die Berufungskammer des ICTY das Massaker als Genozid ein. Drei Jahre später bestätigte der Internationale Gerichtshof in Den Haag diese Einordnung. UN-Generalsekretär Kofi Annan bezeichnete das Massaker 2005 als »schlimmstes Verbrechen auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg«.
Wegen des Versagens ihrer »Blauhelmtruppen« trat 2002 die niederländische Regierung zurück. In drei Gerichtsverfahren wurde der niederländische Staat später für den Tod von mehr als 300 Menschen mitverantwortlich gemacht. 2013 bat Serbiens damaliger Präsident Tomislav Nikolić um Vergebung für »das Verbrechen«, vermied jedoch die Bezeichnung »Völkermord«. Milorad Dodik, Präsident der Republika Srpska, widerspricht bis heute, dass ein Genozid stattfand, und macht sich damit in Bosnien und Herzegowina eigentlich strafbar.
Erst im vergangenen Jahr erklärte die UNO den 11. Juli zum Internationalen Tag des Gedenkens an den Völkermord von Srebrenica. Die entsprechende Resolution wurde mit 84 Jastimmen verabschiedet – bei 68 Enthaltungen und 19 Gegenstimmen, darunter Belarus, China, Eritrea, Kuba, Nicaragua, Nordkorea, Russland, Syrien, Ungarn und Serbien. Die Initiative kam von Deutschland, das bei der Entfesselung der Balkankriege mit einer antiserbischen Stoßrichtung in den 90er Jahren eine Hauptrolle gespielt hatte, und Ruanda, unterstützt von mehr als 30 weiteren Staaten. Das EU-Parlament hatte den 11. Juli schon 2009 zum Gedenktag erklärt.
Die internationale Anerkennung von Srebrenica als Völkermord gilt vielen Völkerrechtlern als Schlüsselmoment in der juristischen Auseinandersetzung mit dem Tatbestand des Genozids. Zugleich erinnert Srebrenica daran, wie selektiv diese erfolgt – im Falle von Israels Krieg in Gaza weigern sich die BRD und USA etwa bis heute, auch nur von Kriegsverbrechen, geschweige denn Völkermord zu sprechen.
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