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Aus: Ausgabe vom 12.07.2025, Seite 6 / Ausland
Bosnien und Herzegowina

Gedenken an Srebrenica

Bosnien und Herzegowina: Vor 30 Jahren töteten bosnisch-serbische Truppen Tausende Muslime
Von Slavko Stilinović
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Erst im vergangenen Jahr wurde der 11. Juli zum Gedenktag an das Massaker von Srebrenica erklärt

Am Freitag jährte sich das Massaker von Srebrenica zum 30. Mal. Dazu waren zahlreiche Delegationen aus Bosnien und Herzegowina und der ganzen Welt angereist, um den Opfern die letzte Ehre zu erweisen und ihren Familien Respekt zu zollen. Nach der Veranstaltung in einer ehemaligen Batteriefabrik wurden Blumen für die Getöteten niedergelegt. Anschließend begann der religiöse Teil mit der Predigt des islamischen Oberhaupts von Bosnien und Herzegowina, Husein Kavazović. Er leitete auch das Totengebet, an dem Tausende Menschen teilnahmen. Im Anschluss erfolgte die Beisetzung der sterblichen Überreste von sieben Opfern des Massakers.

Srebrenica liegt heute in der Republika Srpska – einer serbisch dominierten, teilautonomen Entität in Bosnien und Herzegowina. Im Juli 1995 waren in und um die ostbosnische Stadt laut UN-Angaben mehr als 8.000 bosnische muslimische Männer und Jungen von Einheiten der Armee der Republika Srpska unter dem Kommando von General Ratko Mladić getötet worden. Auch die serbische paramilitärische Einheit »Skorpione« war beteiligt. Das Massaker ist der erste völkerrechtlich anerkannte Genozid in Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs.

Vor dem Massaker hatte die UNO das traditionell ebenso von bosnischen Serben wie Muslimen bewohnte Srebrenica zur »Schutzzone« erklärt. Doch 370 leicht bewaffnete niederländische »Blauhelme« waren nicht in der Lage, die Einnahme des Gebiets durch serbische Truppen oder die folgenden Massenmorde zu verhindern. Eine offizielle Liste führt 8.372 vermisste oder getötete Personen. Bis 2012 konnten mit Hilfe von DNA-Analysen mehr als 6.800 Opfer aus Massengräbern identifiziert werden.

Serbische Stimmen versuchten später, das Massaker als Vergeltung für Übergriffe bosnisch-muslimischer Einheiten auf serbische Zivilisten darzustellen. Das wurde jedoch vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) und der UNO zurückgewiesen. Die Tötungen waren demnach kein spontaner Akt, sondern geplant. Nahezu alle gefangengenommenen Männer, ob Zivilisten oder Soldaten, wurden in Wäldern erschossen oder zu Exekutionsstätten gebracht, die Leichen mit Hilfe von Baggern in Massengräbern verscharrt. 2004 stufte die Berufungskammer des ICTY das Massaker als Genozid ein. Drei Jahre später bestätigte der Internationale Gerichtshof in Den Haag diese Einordnung. UN-Generalsekretär Kofi Annan bezeichnete das Massaker 2005 als »schlimmstes Verbrechen auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg«.

Wegen des Versagens ihrer »Blauhelmtruppen« trat 2002 die niederländische Regierung zurück. In drei Gerichtsverfahren wurde der niederländische Staat später für den Tod von mehr als 300 Menschen mitverantwortlich gemacht. 2013 bat Serbiens damaliger Präsident Tomislav Nikolić um Vergebung für »das Verbrechen«, vermied jedoch die Bezeichnung »Völkermord«. Milorad Dodik, Präsident der Republika Srpska, widerspricht bis heute, dass ein Genozid stattfand, und macht sich damit in Bosnien und Herzegowina eigentlich strafbar.

Erst im vergangenen Jahr erklärte die UNO den 11. Juli zum Internationalen Tag des Gedenkens an den Völkermord von Srebrenica. Die entsprechende Resolution wurde mit 84 Jastimmen verabschiedet – bei 68 Enthaltungen und 19 Gegenstimmen, darunter Belarus, China, Eritrea, Kuba, Nicaragua, Nordkorea, Russland, Syrien, Ungarn und Serbien. Die Initiative kam von Deutschland, das bei der Entfesselung der Balkankriege mit einer antiserbischen Stoßrichtung in den 90er Jahren eine Hauptrolle gespielt hatte, und Ruanda, unterstützt von mehr als 30 weiteren Staaten. Das EU-Parlament hatte den 11. Juli schon 2009 zum Gedenktag erklärt.

Die internationale Anerkennung von Srebrenica als Völkermord gilt vielen Völkerrechtlern als Schlüsselmoment in der juristischen Auseinandersetzung mit dem Tatbestand des Genozids. Zugleich erinnert Srebrenica daran, wie selektiv diese erfolgt – im Falle von Israels Krieg in Gaza weigern sich die BRD und USA etwa bis heute, auch nur von Kriegsverbrechen, geschweige denn Völkermord zu sprechen.

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  • Leserbrief von Volker Wirth aus Berlin (14. Juli 2025 um 12:17 Uhr)
    Der Beitrag ist an Einseitigkeit kaum zu überbieten. Das ist schon Mainstream pur! Wenn hier der Name Naser Orić nicht fällt, des in den christlich-»serbischen« Dörfern der Region um Srebrenica damals gefürchteten und gehassten Anführers der dort immer wieder einfallenden, plündernden und raubenden, aber auch mordenden und sich dann unter den »UN-Schirm« zurückziehenden muslimischen »Selbstverteidigungskräfte« von Srebrenica und Idols der muslimischen Jugend in der Enklave, dann kann nichts anderes herauskommen. (»Mangels glaubhafter Zeugen« konnte Oric in Den Haag bekanntlich nicht verurteilt werden, denn niemand wollte mehr gegen ihn aussagen. Warum wohl?)
    Warum wohl liegt Srebrenica heute in der Republika Srpska? Ebenso wie Zepa? Warum hat »Dayton« die abenteuerliche Konstruktion eines schmalen Transportkorridors aus der »Föderation« in die ebenfalls muslimisch dominierte Stadt-Enklave Gorazde gewählt? Weil das Gebiet größtenteils christlich-orthodox und damit »serbisch« war und ist – und damit weiter Widerstand gegen die muslimische Dominanz in Bosnien-Herzegowina – und konkret in der ostbosnischen Region um Gorazde, Zepa und Srebrenica – also die Zerstörung Jugoslawiens leistet!
    Klar, die Erschießung nunmehr wehr- und waffenloser Muslime ist und bleibt ein Verbrechen. Aber es darf nicht aus dem Zusammenhang mit der vom Westen betriebenen Zerstörung Jugoslawiens betrachtet werden, die in BiH in eine Allianz der prowestlich-katholischen »kroatischen« Kräfte v.a. in der Herzegowina mit den chauvinistischen muslimischen Kräften mündete – gemeinsamer Nenner: die Zerstörung Jugoslawiens! Das geht hier völlig unter!
    Darf überhaupt erwähnt werden, dass niederländische F-16 die serbisch-bosnischen Truppen angriffen – oder ist das tabu? Was in Bosnien und Herzegowina geschah, war ein Bürgerkrieg mit wie üblich völlig einseitiger Intervention des Westens in seiner schlimmsten, nämlich religiös-nationalistischen Variante. Da gab es Verbrechen auf allen Seiten. (Gab es dabei etwa keine Morde muslimischer »Truppen« bzw. Freischärler an christlichen »Serben«?)
    Last but not least ist die Ablenkung vom tatsächlichen aktuellen Völkermord an den Gaza-Palästinensern durch Israel ein gewünschter Effekt der großen Feierstunde. Dort und jetzt werden Frauen und Kinder aber nicht mit Bussen weggebracht, sondern zu Zehntausenden zusammen mit ihren Männern abgeschlachtet!
    An dieser Völkermord-Show sollte sich die jW nicht beteiligen.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (14. Juli 2025 um 09:32 Uhr)
    Die Tatsache, dass bei der Abstimmung zur entsprechenden Resolution in der UNO von den 171 anwesenden Mitgliedern nur eine Minderheit von 84 sich zu einer Jastimme durchringen konnte, sollte die junge Welt eigentlich hellhörig machen. Auch die prominenten Gegenstimmen könnten zu denken geben. Der Autor stört sich nicht besonders daran, dass die Initiative zu der Resolution ausgerechnet von Deutschland kam, das – wie er selbst schreibt – »bei der Entfesselung der Balkankriege mit einer antiserbischen Stoßrichtung in den 90er Jahren eine Hauptrolle gespielt hatte«. Jenes Deutschland, das ein Interesse daran hat, seinen verbrecherischen Überfall auf Jugoslawien 1999 zu rechtfertigen bzw. davon abzulenken. Aus junge Welt vom 6.7.1999: »Der taz-Korrespondent Erich Rath­felder zeichnete sich bei der ›Entdeckung‹ von Massaker der Serben als besonders williger Helfer aus. Schon vor dem Krieg spürte er im Kosovo regelmäßig neue ›Massengräber‹ auf, die dann jedoch einer Untersuchung nicht standhielten. Der Effekt war trotzdem erreicht. Die Nachricht war bereits durch die Medien gegangen. Systematisch wurde so die Dämonisierung der Serben betrieben. Rathfelder war auch Miterfinder des Massakers von Srebrenica, der wohl bekanntesten, aber immer noch nicht bewiesenen ›Untat‹ der bösen Serben. Die auf Satellitenaufnahmen entdeckten ›Massengräber‹ erwiesen sich als unergiebig. Auch bei dem angeblichen Massaker von Racak stellten sich die Tatsachen nach der gerichtsmedizinischen Untersuchung einer internationalen Expertengruppe höchst zweideutig dar. Bis heute ist nicht klar, ob es sich bei den Toten um eine Inszenierung mit im Kampf gefallenen UCK-Kämpfer handelte oder nicht. Nach Berichten französischer Journalisten, die am Tag des angeblichen Massakers vor Ort waren, sprechen die Indizien für den Versuch eines UCK-Propaganda-Coups.«
  • Leserbrief von Patrick Büttner aus Leipzig (12. Juli 2025 um 12:28 Uhr)
    Apropos Srebrenia. Wann wurden eigentlich die Weißhelme gegründet? Egal. »Das «Massaker von Srebrenica», das im Juli 1995 in der bosnischen Enklave von bosnisch serbischen Truppen ausgeführt worden sein soll,« schreibt George Pumphrey in seinem diesbezüglichen Reader, »ist möglicherweise die «Propaganda Kuh», die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs die meiste Milch gab.« Um dieses Thema haben sich auch Germinal Civikov und Alexander Dorin verdient gemacht. Wer deren Bücher nicht lesen möchte, bleibt in den hiesigen Massenmedien natürlich auf das Beste betreut.

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