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Aus: Ausgabe vom 12.07.2025, Seite 6 / Ausland
Kolumne von Helga Baumgarten

Herz des zivilen Widerstands

Gaza: Mitarbeiter im von Israel zerstörten Gesundheitssektor mit humanitärem Preis ausgezeichnet
Von Helga Baumgarten
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An der Grenze der Belastbarkeit: Krankenhauspersonal in Gaza wird Tag für Tag mit unerträglichem Leid konfrontiert (Khan Junis, 15.5.2025)

Im Libanon ist Erstaunliches möglich. Auch heute und trotz aller israelischen Angriffe und der seit Monaten andauernden Zerstörungen. Am Mittwoch versammelten sich in der American University of Beirut (AUB) Professoren, Studenten und Bürger der Hauptstadt. Der Medizinprofessor Ghassan Abu Sitta, der inzwischen an der AUB unterrichtet, stand im Mittelpunkt, zusammen mit dem norwegischen Arzt und Aktivisten Mads Gilbert, der online zugeschaltet war. Anlass war die Verleihung eines neuen Preises, den die »Palestine Lands Society«, gegründet von Abu Sittas Onkel, dem Forscher Salman Abu Sitta, gestiftet hat. Er wurde an den Gesundheitssektor in Gaza für seinen aufopfernden Einsatz verliehen. Das Preiskomitee war sich einig, dass alle, von Krankenpflegern und Laborassistenten über Pharmazeuten bis hin zu Ärzten und Direktoren, diese Auszeichnung verdient haben.

Der Mediziner Khamis Elessi aus Gaza, für eine Fortbildung gerade an der AUB, nahm den »Abu Sittah-Gilbert Humanitarian Award« entgegen: eine einfache Plakette mit den eingravierten Namen des Preises und seines Empfängers. Elessi sieht den Preis als »Würdigung aller, die ihr Leben geopfert haben, um Leben zu retten. Damit sollen ihr ethisch begründetes Nein zum Völkermord und ihre Hingabe an ihre zentrale Aufgabe, Leben zu retten, geehrt werden.« Bewegend waren die zugeschalteten Berichte aus Gaza. Der Sanitäter Othman Al-Barhum musste seinen Beitrag wegen gleichzeitiger israelischer Angriffe immer wieder unterbrechen. Für ihn und seine Kollegen ist die internationale Solidarität von zentraler Bedeutung. Sie signalisiere: »Ihr seid nicht allein. Ihr seid das Licht, ihr seid die Hoffnung.«

Dschamil Slim, Krankenpfleger in einer Notfallabteilung, erzählte von einem Kollegen, der zusammengebrochen sei, als ein Kind mit regelrecht explodiertem Kopf eingeliefert wurde. Inzwischen, so Slim, müssten sie sich auf eine Aufgabe konzentrieren: Nahrung organisieren. Ansonsten sind die Gedanken ganz und gar in die Zukunft gerichtet. Was dringend gebraucht wird: an erster Stelle Krankenwagen, medizinische Geräte – und Weiterbildung. Dschamil Slim und der Pharmazeut Ibrahim Khalaf konzentrierten sich auf ihre Pläne: Aufbaustudium im Ausland, um dann bestens vorbereitet nach Gaza zurückzukehren.

Die Medizinerin Jennifer Turnbull von der McGill-Universität in Montreal verknüpfte den kanadischen Siedlerkolonialismus und den Völkermord an der indigenen Bevölkerung dort mit Gaza heute und klagte den Westen an wegen seiner Mittäterschaft am Genozid in Gaza sowie wegen seines Schweigens zu all den Verbrechen, die dort begangen werden. Ghassan Abu Sitta berichtete von den unsäglichen Angriffen gegen ihn in Großbritannien und nicht zuletzt auch aus Deutschland. Aber verglichen mit dem Preis, den die Kollegen in Gaza, angefangen von Adnan Al-Bursch – dem ersten Arzt, der in einem israelischen Gefängnis zu Tode gefoltert wurde – gezahlt hätten, sei das unerheblich. Wie die Kollegen aus Gaza schaue auch er in die Zukunft. Die AUB werde fünf Medizinstipendien zur Verfügung stellen, um das Gesundheitssystem in Gaza zu stärken.

Mads Gilbert nannte die Mitarbeiter des Gesundheitssektors in Gaza die »moralischste Armee weltweit«. Für ihn repräsentierten sie den zivilen Widerstand gegen die israelischen Angriffe, die nur ein Ziel hätten: jeden Willen zum Widerstand zu brechen und die »wahren Stimmen Palästinas zum Schweigen zu bringen«. Aber das werde nicht gelingen, egal, wie groß die Zerstörungen seien. Gilbert sprach von seinem ersten Einsatz für die Palästinenser in Sabra und Shatila nach dem Massaker dort unter den Augen der israelischen Armee 1982. Dann ging er weitere 20 Jahre zurück und zitierte Nelson Mandela, der 1962 seinen Anklägern in Südafrika vor Gericht entgegenhielt: »Keine Macht der Welt kann ein unterdrücktes Volk, das für seine Freiheit kämpft, stoppen.«

Dies ist die 41. Kolumne von Helga Baumgarten, emeritierte Professorin für Politik der Universität Birzeit in Palästina

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