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Aus: Ausgabe vom 08.07.2025, Seite 16 / Sport
Radsport

Hinein in den Wind

Das unterhaltsame Eröffnungswochenende der 112. Tour de France
Von Holger Römers
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Gut gegen Schuppen: Alpecin – Deceuninck war das Team der ersten Tour-Tage (Jasper Philipsen in Gelb, Boulogne-sur-Mer, 6.7.2025)

Wenn am Montag nachmittag (nach Redaktionsschluss) die dritte Etappe der Tour de France zu Ende geht, wird es in Dünkirchen voraussichtlich zum Massensprint kommen. Denn die gut 178 Kilometer lange Strecke bleibt nach dem Start in Valenciennes fast durchweg flach. Die einzige nennenswerte Erhebung, die gut 30 Kilometer vorm Ziel im Höhenprofil verzeichnet ist, sollte als kaum zweieinhalb Kilometer langer Hügel des vierten und niedrigsten Schwierigkeitsgrades nicht einmal Sprintspezialisten bekümmern. In Küstennähe ist allerdings Seitenwind möglich, weshalb das Finale dennoch einen unvorhersehbaren Verlauf nehmen könnte – selbst wenn zuletzt ein erwarteter Name in der Siegerliste stehen mag.

So ähnlich war es jedenfalls an beiden Tagen des Auftaktwochenendes: Dass am Sonnabend Jasper Philipsen (Alpecin – Deceuninck) gewann, war keine Überraschung, obwohl der 27jährige Belgier, der bei der Frankreichrundfahrt in den drei Vorjahren neun Tagessiege sowie 2023 das Grüne Trikot des Punktbesten errungen hatte, in diesem Jahr noch nicht die gewohnte Sprintstärke gezeigt hatte. Ähnliches galt für Biniam Girmay (Intermarché – Wanty), der nun von Philipsen geschlagen wurde: Der 25jährige Eritreer hat zwar in dieser Saison noch nicht gesiegt, wurde als letztjähriger Gewinner des Grünen Trikots beim Tourstart in Lille Métropole trotzdem zu den Tagesfavoriten gezählt. Beim Blick aufs erste Etappenergebnis sollte indes stutzig machen, dass Tim Merlier (Soudal Quick-Step) auf Rang 47 zu finden ist. Der 32jährige Belgier, der 2025 bisher mit zehn Siegen überlegener Sprinter war, gehörte am Sonnabend nicht zu der drei Dutzend Fahrer umfassenden Spitzengruppe, die mit 39 Sekunden Vorsprung den Tagessieg untereinander ausmachte.

Diese Konstellation war ausgerechnet Jonas Vingegaard (Team Visma – Lease a Bike) zu verdanken, der sich im Laufe der Etappe auffallend oft an der Spitze des Fahrerfeldes gezeigt hatte. Das mochte zunächst als Vorsichtsmaßnahme gedeutet werden, da beim Auftakt einer Tour de France das Peloton besonders nervös ist. So kam es auch diesmal zu Stürzen, die in Gestalt von Filippo Ganna (Ineos Grenadiers) und Stefan Bissegger (Decathlon AG2R La Mondiale Team) zwei namhafte Fahrer zur Aufgabe zwangen. Bei heftigen Böen mussten die Klassementfahrer außerdem vermeiden, von einer sogenannten Windstaffel abgehängt zu werden. Die waren in einigen Abschnitten zu befürchten, zuletzt gut 20 Kilometer vor dem Ziel. Da schob Vingegaard sich erneut nach vorne – um mit Hilfe von drei Mannschaftskollegen einfach selbst die Konkurrenz im Wind stehen zu lassen. So konnte der Gesamtsieger von 2023 und 2022 unter anderem den Vorjahresdritten Remco Evenepoel (Soudal Quick-Step) sowie Primož Roglič (Red Bull – Bora – Hansgrohe), einen weiteren Podiumskandidaten, prompt um 39 Sekunden distanzieren.

Besonders interessant war jedoch, dass der 28jährige Däne angriff, obwohl Tadej Pogačar (UAE Team Emirates – XRG), der zwei Jahre jüngere Gesamtsieger von 2024, 2021 und 2020, den Braten gerochen hatte und nie in Gefahr schien, abgehängt zu werden. Das wirkte als selbstbewusstes Statement von Team Visma, die Umsetzung eigener Pläne nicht davon abhängig zu machen, ob der slowenische Topfavorit Schwächen zeigt oder nicht.

Bevor tags darauf Mathieu van der Poel (Alpecin – Deceuninck) im fiesen Bergaufsprint den Tagessieg errang, für den er allgemein favorisiert worden war, sorgte Vingegaard im hügeligen Etappenfinale folgerichtig wieder mit ein, zwei neugierigen Beschleunigungen für Überraschungen. Den zweiten Platz musste er zwar dem explosiveren Pogačar überlassen, der im Gesamtklassement denselben Rang hinter dem 30jährigen niederländischen Etappensieger belegt. Aber in der Tageswertung war der Däne unerwartet Dritter, was vorerst seiner Gesamtplatzierung entspricht. Evenepoel und Roglič mochten sich derweil trösten, nach dem mit gut 209 Kilometern längsten Tagesabschnitt der Tour zeitgleich mit den Genannten Boulogne-sur-Mer erreicht zu haben. Im Etappenfinale war vorübergehend jeweils einer der beiden ins Hintertreffen geraten. Umso mehr muss man hoffen, dass Vingegaard in den kommenden Wochen nicht nur seine Angriffslust bewahrt, sondern auch seine Energie. Zuletzt hatte seine Ehefrau diesbezüglich nämlich Zweifel angemeldet, als sie gegenüber der dänischen Zeitung Politiken das extensive Höhentraining seiner Mannschaft bemängelte. Der Gatte gab daraufhin zu Protokoll, »wenigstens bis jetzt keinen Burnout« zu haben.

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