Profiteure des Völkermords
Von Jakob Reimann
An Krieg und Besatzung lässt sich wunderbar verdienen: »In den vergangenen 21 Monaten, während Israels Völkermord Leben und Landschaften der Palästinenser verwüstet hat«, habe die Börse in Tel Aviv um 213 Prozent an Wert zulegen können. Das erklärte Francesca Albanese vergangene Woche bei der Vorstellung ihres neuen Berichts gegenüber dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf. »Für manche ist Völkermord profitabel«, so die UN-Sonderberichterstatterin für die Lage der Menschenrechte in den besetzten palästinensischen Gebieten weiter. Der Bericht über die »Ökonomie des Genozids« untersucht »die unternehmerische Maschinerie, die das israelische siedlerkoloniale Projekt der Vertreibung und den Austausch der Palästinenser in den besetzten Gebieten aufrechterhält«.
Die Völkerrechtlerin Albanese beschreibt in ihrem Report ein Geflecht aus Unternehmen verschiedenster Sektoren: Rüstungshersteller, Technologieunternehmen, Baufirmen, Rohstoff- und Dienstleistungsunternehmen, Banken, Pensionsfonds, Versicherungen, Universitäten und Stiftungen. »Diese Akteure ermöglichen die Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts und andere strukturelle Verletzungen« wie »Besatzung, Annexion sowie die Verbrechen der Apartheid und des Völkermords«. Neu und einzigartig ist all das freilich nicht, denn: »Koloniale Bestrebungen und die damit verbundenen Völkermorde wurden historisch vom Unternehmenssektor angetrieben und ermöglicht«, setzt Albanese das »siedlerkoloniale Apartheidregime« in Israel in eine historische Kontinuität mit anderen Staaten, die auch auf die »Enteignung indigener Bevölkerungen und ihrer Ländereien« setzten.
Die unabhängige israelische Forschungseinrichtung »Who Profits« listet in ihren Datenbanken über 460 Konzerne und Unternehmen, die an der Besatzung verdienen. Mehr als die Hälfte davon hat ihren Hauptsitz in Israel, 88 weitere israelische Firmen sind direkt in den besetzten palästinensischen oder syrischen Gebieten. Von den gelisteten internationalen Unternehmen stammen die meisten aus Europa (51), einige aus Asien (elf), je eines aus Afrika und Lateinamerika. Das Land mit den meisten von der Besatzung profitierenden Unternehmen sind die USA (30), gefolgt von Deutschland (15). Darunter befinden sich Axel Springer, Siemens, Volkswagen oder Thyssen-Krupp. Letzterer Konzern konnte milliardenschwere Rüstungsaufträge einstreichen, zuletzt etwa 2022, als die Lieferung drei weiterer U-Boote der »Dakar«-Klasse für die israelische Marine für rund drei Milliarden Euro beschlossen wurde, wovon ein beträchtlicher Teil aus deutschen Steuergeldern bezahlt wird.
In ihrem Bericht bezeichnet Albanese den militärisch-industriellen Komplex als »wirtschaftliches Rückgrat« des israelischen Staates. Die langandauernde Besatzung und die wiederholten militärischen Kampagnen Israels hätten »Testfelder für modernste Militärtechnologie geschaffen«. 85.000 Tonnen an Sprengstoff seien auf Gaza abgeworfen worden, was sechsmal der Sprengkraft der Atombombe von Hiroshima entspreche. Rüstungsunternehmen hätten durch diese schiere Quantität an eingesetzter Waffengewalt »rekordverdächtige Gewinne erzielt«. Der Aktienwert von Elbit Systems, Israels wichtigstem Rüstungskonzern, hat sich seit Kriegsbeginn nahezu verdoppelt.
Ein weiteres Geschäftsmodell, das im Report dargestellt und verurteilt wird, ist der sogenannte »Besatzungstourismus« (»Occupation tourism«): Digitale Reiseplattformen wie Airbnb und Booking.com listen massenhaft Unterkünfte in völkerrechtswidrigen Siedlungen, zusammen über 760 Einträge, so eine Analyse des britischen Guardian vom Februar. Airbnb sieht sich daher in den USA, Großbritannien und Irland mit rechtlichen Schritten konfrontiert, hieß es im Juni bei der internationalen NGO Business and Human Rights Resource Centre. Die laufenden Operationen könnten auch auf »Geldwäsche von Erträgen aus israelischen Kriegsverbrechen« hinauslaufen, da Einnahmen aus rechtswidrigen Aktivitäten verarbeitet würden – darunter auch aus palästinensischem Eigentum.
Albanese ruft Staaten und internationale Institutionen zur klaren Reaktion auf: Es brauche ein Ende aller Geschäftsbeziehungen mit dieser »Ökonomie des Genozids«. Unternehmen müssten zivil- und strafrechtlich haftbar gemacht, Handels- und Investitionsbeziehungen rigoros auf den Prüfstand gestellt werden.
Hintergrund: Warenboykott
Immer öfter werden Forderungen, wie sie seit langem von der BDS-Bewegung (englisch für »Boykott, Desinvestition und Sanktionen«) erhoben werden, auch von internationalen Menschenrechtsorganisationen formuliert, um wegen systematischer Verbrechen gegen die palästinensische Zivilbevölkerung Druck auf die israelische Regierung aufzubauen. Besonders seit Beginn des Gazakriegs seit Oktober 2023 haben viele NGOs ihre Strategien verschärft – mit Fokus auf den wirtschaftlichen Profiteuren der Besatzung.
Im Mai 2025 forderte die Organisation Amnesty International UK, alle Importe aus illegalen israelischen Siedlungen im Westjordanland zu verbieten. In einem neuen Kampagnenpaket ruft Amnesty Bürger dazu auf, gezielt auf Supermärkte und Abgeordnete Druck auszuüben, und ermutigt zur Gründung aktivistischer Jugendgruppen. Auch in Irland sind Boykottforderungen seit Jahren auf der Agenda. Nach dem Scheitern eines Vorhabens im Jahr 2018, das den Warenhandel mit Siedlungsprodukten kriminalisiert hätte, kam es 2025 zu einer neuen Gesetzesinitiative, die nun breite Unterstützung gesellschaftlicher Initiativen erfährt.
Auf EU-Ebene forderten bereits im Frühjahr 2024 mehr als 160 NGOs in einem offenen Brief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, sich für einen Import- und Investitionsstopp für alle Unternehmen einzusetzen, die von den illegalen Siedlungen profitieren. Was vor Jahren als Nischenforderung der BDS-Kampagne galt, ist inzwischen in der Mitte der internationalen Menschenrechtsarbeit angekommen. Die ökonomische Komplizenschaft mit der Besatzung wird hier nicht mehr übersehen. (jr)
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