Neokoloniales Instrument
Von Volker Hermsdorf
Sieben Monate vor dem geplanten Machtwechsel haben in Haiti Sprecher führender sozialer Bewegungen erneut scharfe Kritik an der als »Conseil Présidentiel de Transition« (CPT) bezeichneten Übergangsregierung geübt. Die Bildung des Gremiums war im März 2024 im Beisein des damaligen US-Außenministers Antony Blinken in Jamaika beschlossen worden. Es sollte eine Verfassungsänderung durchsetzen, ein Referendum organisieren und Wahlen vorbereiten, so dass die im Februar 2026 eine demokratisch gewählte Regierung die Aufgaben übernehmen kann.
Auf einer Pressekonferenz in Cap-Haïtien prangerten Vertreter verschiedener Bewegungen und Organisationen am Freitag (Ortszeit) an, der Übergangsrat diene den »Interessen des US-Imperialismus«. Sie kritisierten auch »Manipulationen durch westliche Medien«, die das haitianische Volk daran hinderten, »seinen Hauptfeind zu erkennen«. Die Erklärungen erfolgten im Rahmen des Besuchs einer Delegation von »ALBA Movimientos«, einer länderübergreifenden Plattform sozialer Bewegungen für eine postkapitalistische Zukunft in Lateinamerika und der Karibik. Vertreter bedeutender Bauernorganisationen, darunter Tèt Kole Ti Peyizan Ayisyen und MPP, dem Kleinbauernverband MPMKP, der Landarbeiterbewegung Modepa, der Menschenrechtsgruppe Papda und der antiimperialistischen Brigade Dessalines nahmen teil.
Jean-Baptiste Chavannes von der MPP sagte etwa, dass das Gremium unter dem Druck und der Kontrolle ausländischer Akteure eingesetzt worden sei und einem imperialistischen Plan folge. So werde eine neue Verfassung unter diesen Bedingungen lediglich die neokoloniale Kontrolle über das Land zementieren. Camille Chalmers von der Organisation Papda erklärte, dass die bewaffneten Konflikte, die das Land erschüttern, finanziell und logistisch von den Vereinigten Staaten unterstützt würden. »Das Geld, die Waffen, die Munition kommen aus den USA«, so Chalmers. Die Verschärfung der Gewalt sei Teil eines gezielten Plans, Haiti als »unregierbares Land« darzustellen, um politischen und wirtschaftlichen Einfluss auszubauen. Die Aktivistin wies darauf hin, dass die Krise der US-Hegemonie Washingtons Aggressivität auf globaler Ebene verschärft habe – besonders gegenüber Ländern wie Haiti, die seit Jahrhunderten unter kolonialen und neokolonialen Angriffen leiden. Dabei diene die mediale Desinformation als ein zentrales Werkzeug: Die Bevölkerung werde manipuliert, um den eigentlichen Feind – den US-Imperialismus – nicht erkennen zu können.
Wie zur Bestätigung der Vorwürfe bekräftigte der Geschäftsträger der US-Botschaft in Port-au-Prince, Henry T. Wooster, kurz darauf das Engagement seines Landes, »eine Lösung für die schwere Krise in Haiti« zu finden. »Die Aussicht, dass dieser Staat in einen unregierbaren Raum verwandelt wird, stellt eine Bedrohung für die Interessen der Vereinigten Staaten und die gesamte Region dar«, erklärte der Diplomat in einer Rede zum Unabhängigkeitstag der USA am 4. Juli. Eine Woche zuvor hatte die Botschaft US-Bürger aufgefordert, »nicht nach Haiti zu reisen und das Land, falls sie sich bereits dort befinden, so schnell wie möglich zu verlassen«.
Trotz der Warnung an die eigenen Landsleute will die US-Regierung den Schutzstatus für eine halbe Million Haitianer zum 2. September aufheben. Die Lage in dem Land habe sich so verbessert, dass eine »sichere Rückkehr« nun möglich sei, so Heimatschutzministerin Kristi Noem Ende Juni zur Begründung. US-Bundesrichter Brian Cogan hatte den Vorstoß am vergangenen Dienstag zwar vorläufig gestoppt und verkündet, dass Noems Entscheidung rechtswidrig gewesen sei. Doch die US-Regierung legte dagegen Berufung ein.
Das US-Vorhaben alarmierte sogar Jimmy »Barbecue« Chérizier. Er ist Anführer der mächtigen Bandenallianz »Viv Ansanm«, die sich anschickt, zur politischen Partei zu werden. »Trumps Entscheidung wird Not und Chaos in Haiti vergrößern. Viele Menschen hängen von Geldüberweisungen ihrer Familien mit Schutzstatus ab – für Schulgebühren, die Miete oder Lebensmittel. Ohne diese Lebensader werden sie gezwungen sein, sich den sogenannten Gangs anzuschließen, um zu überleben«, zitierte die linke Wochenzeitung Haïti Liberté am Mittwoch aus einem Interview mit Chérizier.
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