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Aus: Ausgabe vom 07.07.2025, Seite 7 / Ausland
Polen

Polnisches Sommertheater

Parlamentspräsident bei nächtlichem Geheimtreffen mit führenden PiS-Politikern ertappt. Wer steckt dahinter?
Von Reinhard Lauterbach, Posnań
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Abgerollt ist dein Streifen. Plakat des amtierenden Parlamentspräsidenten Szymon Hołownia

Szymon Hołownia hätte es sich aussuchen können: bei der bevorstehenden Regierungsumbildung Vizeregierungschef werden oder sogar die Vereidigung des Anfang Juni gewählten neuen Staatspräsidenten Karol Nawrocki am 6. August mit Verfahrenstricks sabotieren. Dann wäre der Parlamentspräsident, Sejmmarschall genannt, nach der Verfassung amtierender Staatschef geworden. Beides wurde ihm von Premier Donald Tusk offeriert. Den Quasiputsch bei der Vereidigung des rechten PiS-Politikers Nawrocki hatte Hołownia von sich aus ausgeschlagen – das politische Risiko war ihm erkennbar zu hoch. Als Präsident von Tusks Gnaden hätte er nur geringe Chancen gehabt, über den regulären Termin der Parlamentswahlen im Herbst 2027 hinaus seine politische Karriere fortzusetzen. Aus eigener Kraft schafft er das wohl kaum noch – seine Partei »Polen 2050« wird in den Umfragen inzwischen bei 4,9 Prozent gehandelt und gilt als spaltungsgefährdet.

Aber sein Signal an die PiS, der Amtseinführung ihres Präsidenten nicht im Wege zu stehen, wurde offenbar gehört. Am späten Donnerstag abend suchte Hołownia den einflussreichen PiS-EU-Abgeordneten Adam Bielan in dessen Warschauer Wohnung auf. Nach Angaben des Gastgebers waren dort bereits PiS-Chef Jarosław Kaczyński und der Senator der Bauernpartei PSL, Michał Kamiński, zum Abendessen geladen. Gegen 22 Uhr sei Hołownia zu der Runde dazugestoßen. Donald Tusk oder andere Mitglieder der Regierungskoalition waren nach eigenen Angaben darüber nicht informiert. Wie es der »Zufall« wollte, lungerte vor dem Appartementblock, wo Bielan die illustre Runde empfing, ein Fotoreporter der Boulevardzeitung Fakt herum, der offenbar einen Tip bekommen hatte und Hołownias Dienstwagen in der Tiefgarage bildlich festhielt.

Was besprochen wurde, ist nicht bekannt. Die Tatsache des nächtlichen Treffens in der Privatwohnung eines PiS-Politikers, der als notorischer Intrigant gilt, reichte jedoch aus, für Koalitionskrach zu sorgen, der nicht geringer ist, als wäre jemand im Privatleben in flagranti beim Ehebruch erwischt worden. Noch die wohlwollendsten Kommentatoren bestreiten Hołownia jetzt die »sittliche Reife« für ein höheres Staatsamt. Hołownias eigene Erklärung, es sei seine Aufgabe als Sejmmarschall, mit Vertretern aller politischen Kräfte zu sprechen und früher an diesem Tag habe er wegen auswärtiger Termine keine Zeit gehabt, nahm niemand ernst.

Interessant ist, wem an diesem Skandal gelegen sein könnte und wer deshalb als Urheber der Indiskretion in Frage kommt. Der erste Verdacht fällt natürlich auf Gastgeber Bielan selbst. Wenn sich die durch die Niederlage in der Präsidentenwahl ohnehin desorientierte Koalition noch mehr zerstreitet und am Ende vorzeitig zerfällt, kann es seiner Partei nur recht sein. Die Gegenhypothese, dass Premier Donald Tusk die Intrige eingefädelt habe, um Hołownias Verhandlungsposition vor einer Mitte dieses Monats geplanten Regierungsumbildung zu schwächen, scheint wenig plausibel. Nicht nur würde sie voraussetzen, dass Tusk seine eigenen Koalitionspartner rund um die Uhr beschatten lässt und von Hołownias Rendezvous mit der Konkurrenz sehr wohl vorher gewusst hat.

Sie scheint auch deshalb nur begrenzt plausibel, weil Tusk mit einem von ihm selbst provozierten Eklat seine eigene Position als Regierungschef gefährdet und den Zusammenhalt des Regierungsbündnisses von sich aus belastet hätte. Der könnte sowieso besser sein, weil durch die angekündigte Regierungsumbildung rund 120 Posten von Staatssekretären und Sonderbeauftragten, auf denen es sich insbesondere Politiker der kleineren Koalitionsparteien bequem gemacht haben, zu mindestens einem Drittel wegfallen sollen. Es spricht also mehr dafür, dass Hołownia einer Intrige der PiS-Führung aufgesessen ist. Die persönliche Eitelkeit des früheren TV-Moderators ist notorisch. Der Vorhang über dem polnischen Sommertheater 2025 ist hochgegangen. Es könnte noch unterhaltsam werden, wenn nicht eine vorzeitige Rückkehr der Rechten an die Macht das Bühnenbild abgäbe.

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