»Wir sind seit dem 7. Oktober Gefangene«
Interview: Fabian Linder
Sie leben in den von Israel besetzten Gebieten. Wie sieht der Alltag unter diesen Bedingungen aus?
Israel baut seit 1994 in der Westbank, um mehr und mehr Land zu besitzen. Seit dem 7. Oktober 2023 ist die ganze Welt damit beschäftigt, dem Genozid in Gaza zuzusehen, wo täglich viele Menschen sterben. Israel nutzt diese Ablenkung. Sie haben viele junge Menschen aus Israel eingeladen, in die Westbank zu kommen, darunter auch junge Kriminelle.
Israel hat seit Kriegsbeginn etwa 150.000 Waffen an Siedler herausgegeben. Palästinensische Gemeinden werden attackiert, niedergebrannt oder vertrieben. Seit dem 7. Oktober riegelt die israelische Armee unsere Städte ab – sie öffnet die großen Tore nur für ein paar Stunden täglich und blockiert unsere Ein- und Ausfuhren. Sie versuchen ihr Bestes, unsere ökonomische Lage im Westjordanland zu verschlimmern und beschlagnahmen die Gehälter der palästinensischen Behörden. Die Siedlungen gelten nach internationalem und sind teilweise nach israelischem Recht illegal. Aber sie haben die volle Unterstützung von Ministern der israelischen Regierung wie Ben-Gvir, Smotrich und vielen anderen, die selbst Siedler sind.
Wie wirkt sich die Besatzung auf die interethnischen Beziehungen vor Ort aus?
Für sie sind alle, die in der Westbank in den palästinensischen Städten leben, der Feind. Wenn man den israelischen Politikern zuhört, wird deutlich, wie sie die Palästinenser dehumanisieren.
Wie ist Solidarität da möglich?
Wer die Besatzung bekämpft, ist Terrorist. Wer sie kritisiert, ist Antisemit. Juden, die für Gerechtigkeit und gegen die israelischen Verbrechen einstehen, nennen sie »selbsthassend«. Die UN sind Antisemiten. Ärzte und Lehrer sind Terroristen. Journalisten, die filmen und der Welt zeigen, wie sie hier töten, werden selbst getötet. Diese Leute glauben, dass sie über dem internationalen Gesetz stehen. Und tatsächlich tun sie das, wenn die internationalen Gesetze gegen Netanjahu und seine Minister von der westlichen Welt nicht angewandt werden und sie statt dessen in Deutschland und vielen anderen Ländern willkommen sind.
Wie funktioniert die palästinensische Selbstverwaltung?
Unglücklicherweise haben unsere Behörden keine Autorität, sondern kümmern sich lediglich um öffentliche Dienstleistungen. Israel nutzt die palästinensischen Behörden in Area A hierfür, obwohl sie am Ende wieder alles zerstören, was die Behörden dort aufbauen.
Gibt es Unterstützung für Gaza aus dem Westjordanland?
In der Westbank können wir leider nichts für Gaza tun. Wir leben seit dem 7. Oktober wie in Käfigen. Wer sich in sozialen Medien kritisch zu den Verbrechen in Gaza äußert, riskiert von der israelischen Armee inhaftiert zu werden. Wenn man es wagt, Geld nach Gaza zu überweisen, würde man wegen Unterstützung von Terrorismus verhaftet. Darüber hinaus gibt es nicht einmal mehr Banken in Gaza, weil sie genau wie Universitäten, Schulen, Krankenhäuser und alle Gebäude, in denen Menschen leben und Schutz suchen können, zerstört wurden.
Sie sprachen vor kurzem auf einer Kundgebung gegen Waffenexporte nach Israel. Was bleibt dazu zu sagen?
Waffen sind nicht die richtigen Mittel, um Frieden zu bringen. Besonders die Menschen in Deutschland sollten das wissen. Jede einzelne Kugel, die nach Israel exportiert wird, tötet ein Kind, einen Arzt, einen Vater oder eine Mutter. Wenn Sie Israelis und jüdische Menschen unterstützen wollen, ist es Zeit, die jüdische Bevölkerung in den Nahen Osten zu integrieren und den Palästinensern ihre Rechte zu geben. Wenn Sie uns unterstützen wollen, schicken Sie uns Therapeuten, um unsere Traumata zu lindern, oder helfen Sie uns, Schulen zu bauen. Nelson Mandela hat bereits gesagt: Wer eine Schule baut, schließt ein Gefängnis.
Osama Eliwat ist Palästinenser, lebt in den von Israel besetzten Gebieten und engagiert sich in der Friedensbewegung
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