»1,5 Grad ist erst einmal nicht mehr erreichbar«
Interview: Gitta Düperthal
Bis 2050 soll Europa klimaneutral sein. Die EU-Kommission schlägt ein Gesetz vor, den Ausstoß klimaschädlicher Gase bis 2040 um 90 Prozent gegenüber 1990 zu senken, also weniger Kohle, Öl und Gas zu verbrennen, mehr Energie aus Sonne, Wind und Wasser zu gewinnen. Wie werten Sie das?
Ein guter Vorschlag! Allerdings ist noch nicht gesichert, ob er so durchkommt. Zugleich würde selbst dieses Minimalziel nicht mehr ausreichen, um das Pariser Klimaziel noch zu erreichen, auf das sich die EU und alle UN-Staaten 2015 verpflichtet haben. Kolportiert wird oft, es dürften nicht mehr als 1,5 Grad Erderwärmung erreicht werden: Vereinbart wurde jedoch, deutlich unter zwei Grad zu bleiben und maximal 1,5 Grad anzustreben. Messungen und Berechnungen zeigen, dass wir 2023 die 1,5 Grad faktisch schon erreicht haben, 2024 lagen die globalen Mitteltemperaturen bereits bei über 1,6 Grad Erwärmung.
Ist der Vorschlag der EU-Kommission verbindlich?
So ein Gesetz ist kein Papiertiger, muss in nationales Recht umgesetzt werden. Auszuhandeln ist, welcher Mitgliedstaat wieviel von der beabsichtigten Reduktion der Treibhausgase übernimmt – will einer weniger oder nichts machen, müssen andere Staaten um so mehr tun. Wer sich nicht daran hält, kann verklagt werden, muss dann entsprechende Strafzahlungen leisten.
Gibt es bei der Erderwärmung einen Kippunkt?
Wir kennen sogar viele Kippunkte. Es ist hier aber anders als bei manch anderen Umweltproblemen: Mit einem Stopp der Emissionen ist das Problem nicht aus der Welt. Selbst wenn wir ab morgen gar kein Kohlendioxid mehr in die Luft pusten würden, bleiben die erhöhten Temperaturen über Jahrhunderte erhalten. Die Wissenschaft ist sich einig: 1,5 Grad ist erst einmal nicht mehr erreichbar. Nur die Politik hält weiter daran fest. Machen wir weiter wie bisher, werden bald auch die zwei Grad gerissen, bis 2050 vielleicht gar drei Grad.
Im Juni wurden hier um die 40 Grad erreicht. Dennoch sagt CSU-Chef Markus Söder, der Deutsche sei immer unzufrieden mit dem Wetter, oder FDP-Chef Christian Dürr, es sei nur »schönes Wetter«. Für die Regierung ist die Klimakrise kaum Thema.
Diese extremen Wetterereignisse traten eindeutig früher nicht in der Häufigkeit auf. Die medizinische Fachzeitschrift The Lancet schlussfolgerte 2024 im »Bericht zu Klimawandel und Gesundheit« einen Anstieg von mehr als 100 Prozent bei der Anzahl von Hitzetoten über 65 Jahren und 900 Milliarden Euro ökonomischer Folgekosten: etwa, weil Menschen bei hohen Temperaturen nicht draußen arbeiten können. Das sind wissenschaftlich gesicherte Befunde.
Deutschland sei nur für zwei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich, heißt es.
Das Herunterrechnen auf die Größe von Deutschland ist irreführend. Freilich haben China und die USA einen größeren Anteil als Deutschland am CO2-Ausstoß. Man stelle sich vor, alle Provinzen Chinas würden sagen: Wir haben weniger als zwei Prozent, brauchen also nichts tun, sollen doch die Deutschen aktiv werden. Dächte jeder so, würde sich nichts ändern.
Kann die BRD Einfluss nehmen?
Meine internationalen Kollegen sagen: Deutschen Technologien sei es zu verdanken, dass Gas, Öl und Kohle verdrängt werden, weil regenerative Energien billiger als die fossilen würden. Statt diese Produktion voranzutreiben, übergaben wir sie an China, wo es jetzt erstmals gelang, den CO2-Ausstoß zu senken. Wie auch der hiesige Umgang mit der Elektroautoindustrie zeigt das: Die BRD gefährdet ihren Wohlstand, wenn sie die Klimakrise nicht entschieden angeht.
Wie problematisch ist es, dass die Bundesregierung lieber militärische Aufrüstung priorisiert?
Die Klimakrise nicht zu stoppen ist zu kurzfristig gedacht, das wird weitere Krisen und Kriege nach sich ziehen. CDU-Wirtschaftsministerin Katherina Reiche will etwa den Ausbau von Gaskraftwerken fördern. Notwendig wäre aber, regenerative Energien und deren Speicherung weiter auszubauen.
Was ist vom UN-Klimagipfel in Brasilien zu erwarten?
Wie die EU und vor allem Deutschland sich verhalten, interessiert China. Nehmen wir die eigenen Ziele nicht ernst, werden es andere auch nicht tun.
Gunther Seckmeyer ist Professor und leitet das Institut für Meteorologie und Klimatologie an der Leibniz-Universität Hannover
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