Vertane Chance
Von Knut Mellenthin
Aufgrund eines Interimsabkommens, des »Joint Plans of Action«, das am 24. November 2013 zwischen Teheran und den Fünf-plus-eins-Staaten – China, Frankreich, Russland, Großbritannien, USA plus BRD – vereinbart wurde, fuhr Iran unter dem damaligen Präsidenten Hassan Rohani sein Atomprogramm fast auf null zurück. Alle auf mehr als fünf Prozent angereicherten Bestände mussten entweder verdünnt oder in Uranoxid umgewandelt werden. Iran verpflichtete sich, keine neuen Anreicherungsanlagen zu bauen. Den Vorräten durfte kein Material hinzugefügt werden, das auf mehr als 3,5 Prozent angereichert war. Die Inspekteure der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) erhielten täglichen Zugang zu den Atomanlagen Fordo und Natanz. Darüber hinaus konnten sie Uranminen und Zentrifugenfabriken kontrollieren. Innerhalb von sechs Monaten sollte ein Nachfolgeabkommen ausgehandelt werden. Tatsächlich verzögerte sich der Abschluss des Wiener Abkommens (Joint Comprehensive Plan of Action, JCPOA) aber bis zum 14. Juli 2015.
Am 8. Mai 2018 erklärte der seit Januar 2017 erstmals als Präsident der USA amtierende Donald Trump den Rückzug aus dem JCPOA, verbunden mit der Rückkehr aller Sanktionen, auf deren Anwendung die USA in Wien verzichtet hatten. Als Reaktion wurde den Berichten der IAEA zufolge die Anreicherung auf fünf Prozent im Juli 2019 und auf 20 Prozent im Januar 2021 wiederaufgenommen sowie im April 2021 sogar auf 60 Prozent gesteigert. Damit wurden Parlamentsbeschlüsse umgesetzt, durch die nicht nur die USA, sondern auch die sie unterstützenden und sich ihren wirtschaftlichen Strafmaßnahmen unterwerfenden E3-Staaten Frankreich, BRD und Großbritannien zur Rückkehr in den 2015 vereinbarten Handlungsrahmen des JCPOA gedrängt werden sollen.
Im Zusammenhang mit dieser Politik hat die IAEA seit Februar 2021 nur noch stark eingeschränkt Zugang zu den Überwachungsinstrumenten. Erhebliche Teile der Ausrüstung wurden im Juni entfernt. Die Berichte der IAEA über die Zunahme der iranischen Lagermengen angereicherten Urans sind dennoch keine sensationellen Enthüllungen, als die sie in den Medien überwiegend präsentiert wurden, sondern geben gemeinsame Ablesungen der Messgeräte und Vorausschätzungen wieder, über die es bisher keine erkennbaren Differenzen gab.
In seinem Bericht vom 31. Mai, dem letzten vor Beginn der israelischen Militäroperation, gab IAEA-Chef Rafael Grossi die Gesamtmenge der iranischen Vorräte an angereichertem Uran per Datum 17. Mai mit 9.247,6 Kilogramm an. Davon seien 408,6 Kilogramm auf 60 Prozent und 274,5 Kilogramm auf 20 Prozent angereichert gewesen. Ob Iran einen Teil dieses Materials vor den Angriffen verlagern konnte, wie in manchen Medien, auch unter Berufung auf angebliche Beobachtungen von Augenzeugen, erzählt wurde, oder ob alles unter den Trümmern verschüttet wurde, wie der US-Präsident mit demonstrativer Glaubensfestigkeit behauptet, ist ungewiss.
Die Einschätzungen der iranischen Führung wirken widersprüchlich. Außenminister Abbas Araghtschi erklärte nach den Angriffen im staatlichen Fernsehen: »Ich muss sagen, die Verluste waren nicht klein, und unsere Anlagen wurden ernsthaft beschädigt.« (New York Times, 26.6.) Zuvor war am selben Tag eine Videoansprache von »Revolutionsführer« Ali Khamenei gesendet worden, in der er behauptete, die Angriffe seien »nicht fähig« gewesen, den Anlagen »irgend etwas Bedeutendes anzutun«. Weder Araghtschi noch Khamenei gingen auf Einzelheiten ein.
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