Immer weiter abwärts
Von Gudrun Giese
Die Krise in der Automobilindustrie hält an. Aktuell sind zwei Zulieferbetriebe in Thüringen von Stellenabbau bzw. Schließung betroffen: Nidec GPM in Merbelsrod will rund 270 Arbeitsplätze in der Produktion streichen, Musashi seinen Standort in Leinefelde-Worbis schließen, meldete der MDR am Dienstag.
260 Beschäftigte erhielten früh am Morgen die Hiobsbotschaft, dass sie im kommenden Jahr ihre Arbeit verlieren. Als Grund für die Schließung gaben Vertreter der Firmenleitung die rückläufige Nachfrage nach Komponenten für Automobile mit Verbrennungsmotoren an. Auch steigende Kosten und die Weltpolitik wurden als Begründung genannt. Man sehe sich gezwungen, Kapazitäten anzupassen, um langfristig wettbewerbsfähig zu sein, hieß es in einer Mitteilung des Unternehmens. Ein Teil der Belegschaft protestierte Dienstagmorgen laut MDR vor dem Werkstor gegen die Schließung. Der Betriebsratsvorsitzende Christoph Wiederholt warf bei der Demonstration dem Management vor, die Wende hin zur Elektromobilität nicht geschafft zu haben, was von Seiten eines Unternehmenssprechers zurückgewiesen wurde. Musashi schließe das Werk in Leinefelde-Worbis wegen der allgemeinen Lage in der Autobranche. Mit dem Schritt verstößt das Unternehmen gegen einen Tarifvertrag, der eine Standortgarantie bis 2030 vorsieht. Geschlossen werden soll im kommenden Jahr auch das Musashi-Werk im niedersächsischen Hannoversch Münden, so dass als einziger deutscher Standort der ebenfalls in Niedersachsen angesiedelte in Lüchow bleiben wird.
Beim Autozulieferer Nidec GPM im südthüringischen Merbelsrod soll ungefähr jeder zweite Arbeitsplatz wegfallen, wie das Freie Wort aus Suhl berichtete. Auch hier gab das Unternehmen als Grund die schwierige Situation in der Automobilbranche an. Nidec GPM produziert Wasser- und Ölpumpen für Autos. Die rund 270 betroffenen Stellen sollen vor allem durch Frühverrentung und die Nichtverlängerung von Zeitverträgen wegfallen, was euphemistisch als »sozialverträgliche Lösung« bezeichnet wird.
Bereits in der vergangenen Woche hatte die IG Metall Mitte sich mit einem Forderungspapier an die Thüringer Landespolitik gewandt. Dem Land drohe eine Deindustrialisierung, wenn nicht gegengesteuert werde, erklärte Bezirksleiter Jörg Köhlinger. Nicht allein Fehlentscheidungen der Unternehmen seien ursächlich für die Krise, sondern auch hohe Energiepreise, Fachkräftemangel und der anhaltende Transformationsdruck. Allein in Ostthüringen seien 15 Betriebe mit mehr als 4.000 Beschäftigten aus dem Metallsektor in einer existentiellen Krise. Ähnlich sehe es in den übrigen Regionen des Bundeslandes aus. Ohne gezieltes und schnelles Handeln drohten Werksschließungen, Produktionsverlagerungen und der Verlust tariflich gesicherter Industriearbeitsplätze. Die IG Metall und Betriebsräte warnten davor, die Fehler der 1990er Jahre zu wiederholen.
Dass nun einmal mehr ostdeutsche Zulieferer von Schließung und Arbeitsplatzabbau betroffen sind, hängt auch mit der jüngeren Vergangenheit zusammen: Nach 1990 bauten die bundesdeutschen Automobilkonzerne gerne große und moderne Produktionsstätten in die Landschaft, da niedrigere Lohnkosten sowie geringere Grundstückskosten und Steuerlasten für sie attraktiv waren. Zulieferbetriebe siedelten sich in der Nähe der Werke an. Die aktuelle Krise trifft diese Standorte besonders hart. Dabei sind nicht allein die Produktionen von aus der Mode geratenen Verbrennerautos und ihrer Komponenten ins Schlingern geraten, sondern auch die Firmenstandorte für Elektroautomobile, die Volkswagen, BMW, Porsche und Tesla vor allem in Sachsen und Brandenburg aufgebaut haben. Die bis 2023 geltende Förderung für E-Autos habe dabei als Katalysator gewirkt, hieß es Mitte Januar im Handelsblatt. Die Beschäftigung in der ostdeutschen Autoindustrie sei seit 2009 um mehr als 55 Prozent gestiegen. Der Umsatz habe sich in dem Zeitraum mehr als verdoppelt. Mit dem Aus der staatlichen Förderung für E-Autos zum Jahresende 2023 brach der Absatz ein.
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