Die Fliege
Von Christine Kriegerowski
In Kevin Macdonalds Dokumentarfilm »One to One – John Lennon und Yoko Ono« geht es um die ersten eineinhalb Jahre des Künstlerpaars in Greenwich Village, New York, 1971/72. Im Zentrum steht der leicht gespenstische Nachbau der ersten Wohnung des Paars in New York mit dem großen Bett und dem Fernseher am Fußende. Aus Nachrichten, Werbespots, den Mitschnitten von Telefongesprächen, mitzulesen als heller Text auf schwarzem Grund, und privaten Filmaufnahmen wird eine Erzählung montiert. Der Regisseur verlässt sich ganz auf die Montage und verzichtet auf erklärende Einblendungen. Auftritte legendärer Gestalten der Hippiekultur, der Anarchist Jerry Rubin trollt im Fernsehinterview, Alan Ginsberg freut sich zenmäßig auf die Zeit nach Nixons zweiter Amtszeit, der Dylan-Stalker A. J. Weberman posiert mit Dylans Müll usw.
Mit dem immer wieder eingeblendeten Bett mit dem Fernseher verbindet sich die Vorstellung, dass Ono und Lennon die ganze Zeit vor dem Fernseher sitzen und sich wegen all der Scheußlichkeiten, die sie sehen, engagieren: zum Beispiel gegen Nixon und den Vietnamkrieg. Es wird gezeigt, wie Lennon einen Song für John Sinclair komponiert, den er beim Konzert für dessen Freilassung zum Besten gibt. Sinclair war zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt worden wegen Weitergabe zweier Joints an einen Zivilpolizisten. Zwei Tage nach dem Konzert kam er frei.
Es geht auch um private Dramen, beispielsweise die jahrelange Suche nach Onos Tochter Kyoko, die vom Vater – Onos zweitem Ehemann Anthony Cox – versteckt gehalten wurde, nachdem sie per Gerichtsurteil in Houston, Texas, das Sorgerecht verloren hatte. Gezeigt wird die Verbindung zwischen Leben, Politik und Kunst, Yoko Ono, die auf der Bühne nach Kyoko schreit, John Lennon, der sich im Lied »Mother« von seinen Eltern verabschiedet. Die beiden waren sicher auch aus eigener trauriger Erfahrung vom Schicksal der behinderten Kinder in der Willowbrook State School berührt, deren Vernachlässigung und Misshandlung der Reporter Geraldo Rivera in einer Fernsehreportage öffentlich gemacht hatte. Der organisierte daraufhin mit den beiden ein Wohltätigkeitskonzert im Madison Square Garden am 30. August 1972. Stevie Wonder und Roberta Flack waren auch dabei. Jenes Konzert und das daraus resultierende TV-Special »John Lennon and Yoko Ono Present the One-to-One Concert« schenken auch Macdonalds Film den Titel und den inhaltlichen, zeitlichen und musikalischen Rahmen.
Als Einblick in die tägliche Praxis einer Künstlerin wird die fortwährende Suche nach lebenden Fliegen zum Running gag. Die Fliegen werden für Yoko Onos Kurzfilm »FLY« von 1970 gebraucht. Die Anweisung: »Let a fly walk on a woman’s body from toe to head and fly out of the window.« In »FLY« wird der nackte Körper der Schauspielerin Virginia Lust 24 Minuten lang von einer Fliege erkundet.
»One to One – John Lennon und Yoko Ono«, Regie: Kevin Macdonald, Sam Rice-Edwards, UK 2024, 104 Min., bereits angelaufen
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