»Es ist nicht ihre Aufgabe, Überwachung zu ermöglichen«
Interview: Henning von Stoltzenberg
Die Juristenvereinigung »Gesellschaft für Freiheitsrechte« unterstützt die Klage eines Demonstrationsteilnehmers vor dem Verwaltungsgericht Berlin gegen eine polizeiliche Sprachauflage. Sie wurde für einen palästinasolidarischen Protest erlassen. Warum gehen Sie dagegen vor?
Im Februar 2025 erfolgte die Auflage der Polizei gegenüber dem Anmelder: Redebeiträge und das Rufen von Parolen sollten ausschließlich auf Deutsch und Englisch erlaubt sein. Der Anmelder ist im Eilverfahren erfolglos gegen die Auflage vorgegangen. Das Verwaltungsgericht sah sie als verhältnismäßig an, weil Teilnehmende Parolen mit einer App wie »Google Translate« übersetzen und dann auf Deutsch oder Englisch hätten rufen können.
Als die Demo stattfand und Teilnehmende dennoch auf Arabisch skandierten sowie ein Redebeitrag auf Hebräisch gehalten wurde, brach die Polizei die Versammlung ab. Der Anmelder hat eine Fortsetzungsfeststellungsklage vor dem Verwaltungsgericht Berlin erhoben, um die Rechtswidrigkeit der Auflage feststellen zu lassen. Wir unterstützen die Klage, um ein Grundsatzurteil gegen diskriminierende Sprachauflagen zu erwirken.
Wie begründet die Polizei die Sprachauflage?
Mit dem Hinweis auf Äußerungsdelikte in arabischer Sprache bei Versammlungen aus dem propalästinensischen Spektrum. Auf das Thema der konkreten Demo oder die Person des Anmelders ging die Polizei nicht ein. Die Auflage ist zwar neutral formuliert, die Begründung nimmt aber nur auf arabischsprachige Äußerungen Bezug und suggeriert eine besondere Gefährlichkeit bestimmter Sprachen. Dies stellt eine pauschale Stigmatisierung dar.
Die Sprachauflage soll laut der Polizei die Einsatzkräfte in die Lage versetzen, strafbare Äußerungen schneller zu erkennen. Doch genau das widerspricht dem Grundgedanken der Versammlungsfreiheit: Versammlungen sind keine polizeilich kontrollierten Räume, sondern staatsfreie Orte, in denen Bürgerinnen und Bürger ihre Meinung frei äußern dürfen – auch in der Sprache ihrer Wahl.
Kommen derartige Beschränkungen häufiger vor?
Wie oft genau die Polizei Sprachauflagen erlässt, wissen wir nicht. Auf eine Frage im Abgeordnetenhaus hat der Berliner Senat erklärt, dass es darüber keine Daten gebe. Die Auflage war aber kein Einzelfall: Wir wissen, dass die Berliner Polizei seit dem Sommer 2024 mehrfach solche Auflagen gegenüber propalästinensischen Versammlungen erlassen hat. Zuletzt kam es zu Festnahmen bei einer Demo vor der irischen Botschaft, bei der Teilnehmende Parolen auf Irisch riefen.
Sind derartige Auflagen auf solche Proteste beschränkt oder beobachten Sie diese auch in anderen politischen Versammlungskontexten?
Der Schwerpunkt liegt klar bei propalästinensischen Protesten. Die Auflagen knüpfen meist an die arabische Sprache und damit auch an eine bestimmte ethnische und kulturelle Gruppe an. Das führt zu einer faktischen Diskriminierung. In mindestens einem Fall betraf eine ähnliche Auflage auch eine proukrainische Demonstration. Hier entschuldigte sich die Polizei aber im nachhinein für die Maßnahme. Dennoch zeigen diese Beispiele, dass es wichtig ist, die rechtliche Zulässigkeit von Sprachauflagen zu klären, bevor diese sich weiter etablieren.
Wie argumentieren Sie dagegen?
Die Sprachauflage ist eine klare Verletzung der Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Viele Menschen können sich nur in ihrer Erstsprache adäquat verständigen. Wer ihnen vorschreibt, auf Deutsch oder Englisch zu demonstrieren, schließt sie faktisch von der politischen Teilhabe aus. Zudem verstößt die Maßnahme gegen das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Sprache. Indem bestimmte Sprachen beschränkt werden, wird ein Generalverdacht erzeugt, der grundrechtlich nicht zu rechtfertigen ist. Ganz grundsätzlich argumentieren wir, dass es nicht die Aufgabe der Teilnehmenden einer Demo ist, der Polizei deren Überwachung zu ermöglichen.
Joschka Selinger ist Rechtsanwalt und Schwerpunktleiter bei der »Gesellschaft für Freiheitsrechte« (GFF) e. V.
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