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Aus: Ausgabe vom 01.07.2025, Seite 4 / Inland
Repression gegen jüdische Oppostion

VS-Einstufung als Vorwand

Bremen: Nach Absage durch Universität kritisiert jüdische Psychologin »Gehorsam« der Rektorin
Von Jakob Reimann
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Iris Hefets spricht auf einer Kundgebung für ein Waffenstillstandsabkommen (Berlin, 10.11.2023)

Jüdischer Widerspruch gegen die sogenannte Staatsräson ist unerwünscht: Eine für vergangenen Sonnabend in Räumlichkeiten der Universität Bremen geplante Veranstaltung, bei dem die jüdische Psychologin Iris Hefets zum Thema »Schweigen und Schuld – psychologische Mechanismen im Umgang mit dem Genozid in Gaza« sprechen sollte, ist vom Rektorat der Universität kurz zuvor untersagt worden. Zur Begründung heißt es in einer am Freitag vom »Bremer Friedensforum« dokumentierten E-Mail von Rektorin Jutta Günther, dass Hefets Vorstandsmitglied des linken Vereins namens »Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost« sei, der im jüngst veröffentlichten Verfassungsschutzbericht 2024 als »gesichert extremistische Bestrebung« eingestuft werde. Die Veranstaltung sei »daher zu untersagen«. Die Zionsgemeinde in der Neustadt habe »freundlicherweise einen Ersatzraum angeboten«, heißt es bei der »Jüdischen Stimme«, die eine Videoaufnahme des Vortrags ihres Vorstandsmitglieds online zur Verfügung stellt.

Hefets ist international angesehene Spezialistin für Traumaforschung und Holocausterinnerung. »Für Deutschland ist das eine schlechte Nachricht«, kommentiert sie am Montag im Gespräch mit junge Welt die Absage ihres Vortrags. Hefets kritisiert den »Gehorsam« der Rektorin, insbesondere da die Universität Bremen auf »eine lange Tradition als linke Uni« zurückblicken könne. Günther behauptete, die Referentin könnte mit ihrem Vortrag womöglich »die demokratische Grundordnung stören oder dagegen agieren«. Hefets zufolge verstößt die Absage ihres Vortrags gegen das Grundgesetz. »So funktionieren auch totalitäre Systeme«, sagte sie.

Allerdings habe ihr Verein »durch diesen Skandal« viele Menschen erreicht. Auch hätten sie und die »Jüdische Stimme« viel Rückhalt und Solidarität erhalten. Die kam unter anderem aus der Universität Bremen. Die Einstufung der »Jüdischen Stimme« durch den Inlandsgeheimdienst stelle »diese Entscheidung eines Staatsorgans in eine Reihe faschistischer Vorläuferfälle«, schreibt Professorin Sabine Broeck in einem Brief an Günther. Die Entscheidung der Rektorin sei »vorauseilend loyal« und für ein deutsches Rektorat nicht nur »moralisch degoutant«, sondern »auch direkt antisemitisch«.

Das Forscherkollektiv »Forensic Architecture« zählt in seiner Datenbank »Index of Repression« seit 2019 insgesamt 766 Fälle, in denen deutsche Institutionen gegen palästinasolidarische Personen oder Organisationen vorgegangen sind, darunter etwa akademische Einschränkungen, polizeiliche Maßnahmen oder das Absagen von Veranstaltungen aufgrund äußeren Drucks (»canceln«). Insbesondere seit dem 7. Oktober 2023 ist hier ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen. Der Anteil jüdischer Personen, die im Zusammenhang mit ihrer Palästina-Solidarität gecancelt wurden, ist im Verhältnis zu deren Anteil an der Gesamtbevölkerung – weit unter einem Prozent – äußerst hoch.

So zählt auch die international tätige jüdische Organisation »Diaspora Alliance« entsprechende Absagen in Deutschland und kommt zu dem Ergebnis, dass unter den 84 dokumentierten Fällen im Jahr 2023 rund ein Viertel jüdische Personen oder Gruppen betraf, wie der Auslandssender Deutsche Welle berichtete. Die Bundesrepublik habe ihre eigene Identität darauf aufgebaut, dass Juden »ideal« zu sein haben, erklärte Hefets am Montag gegenüber jW, wofür das Judentum mit dem Staat Israel gleichgesetzt werde. »Jüdischen Dissens«, wie er etwa von Hefets Vereinigung geäußert werde, könne die BRD nicht aushalten, da er »bedrohlich« für die deutsche Identität sei und »destabilisierend« auf die Staatsräson wirke.

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