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Aus: Ausgabe vom 01.07.2025, Seite 2 / Inland
Tödliche Badeunfälle

»Etwa 800 Bäder sind aktuell bedroht«

Hitzewellen erhöhen Risiko durch Ansturm auf Badeanstalten. Investitionen fehlen. Höchststand bei Ertrunkenen. Ein Gespräch mit Martin Holzhause
Interview: Gitta Düperthal
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Je heißer, desto gefährlicher: Badegäste im Kölner Stadionbad (25.6.2025)

Nach der DLRG-Statistik 2024 sind mindestens 411 Menschen in Deutschland in verschiedenen Gewässern ertrunken, vorvergangenes Wochenende waren es 15 Menschen. Was beunruhigt Sie am meisten an der hohen Zahl von Badetoten?

Gerade an den ersten heißen Tagen im Juni suchen viele Menschen Abkühlung. Das Ausmaß an Badeunfällen steigt. Am Wochenende vom 21./22. Juni kam eine außergewöhnlich hohe Anzahl von Menschen tragisch ums Leben. Wir hoffen, dass die Aufmerksamkeit für das Thema Menschen sensibilisiert, darauf zu achten – damit es nicht wieder für so viele tödlich wird.

Ist die Klimakrise mit anhaltenden und intensiveren Hitzewellen ursächlich dafür, dass viele Menschen bei Badeunfällen sterben?

Infolge dieser Hitzewellen, vielfach mit über 30 Grad, wollen sich viele Menschen abkühlen und entspannen. Gegen vermehrt auftretende Badeunfälle helfen mehr Angebote für sicheres Baden – mehr Schwimmbäder und bewachte Badestellen an Badeseen. Man muss Gefährdungsbeurteilungen durchführen, Rettungsschwimmer müssen vor Ort sein. Wir können nicht alle Gewässer überwachen, wünschen uns insofern mehr international verständliche Hinweise auf konkrete Gefahren, also nicht nur »Baden auf eigene Gefahr« oder Badeverbotsschilder.

Von Geflüchteten heißt es, viele könnten nicht schwimmen. Sind tatsächlich besonders viele Schutzsuchende betroffen?

Unter Geflüchteten ist die Anzahl der Nichtschwimmer höher, in ihren Herkunftsländern findet meist noch weniger Schwimmunterricht statt als bei uns. Viele Kinder haben das Schwimmen nicht gelernt, Erwachsene sind unsicher im Wasser.

Wie verhält es sich mit Schwimmunterricht an hiesigen Schulen?

Die Zahl geeigneter Schwimmbecken in der Nähe der Schulen sinkt. Mehr als die Hälfte der Kinder sind keine sicheren Schwimmer, wenn sie die Grundschule verlassen. Gäbe es keine Verknappung der Wasserflächen in Bädern, könnten Schulen und Vereine mehr Angebote machen. Zwischen 500 und 1.200 Bäder mussten in den vergangenen 25 Jahren schließen. Etwa 800 Bäder sind aktuell in der Existenz bedroht, jedes zweite ist sanierungsbedürftig. In vielen Regionen ist kein Schwimmbad erreichbar, ohne lange Fahrtzeiten in Kauf nehmen zu müssen.

Fehlt geschultes Personal?

Seit Jahren fehlt Fachpersonal für die Bäder, in den nächsten Jahren gehen viele Ältere in den Ruhestand. Es muss mehr ausgebildet werden. Um junge Menschen dafür zu gewinnen, gilt es, das Berufsbild attraktiver zu gestalten. Das wurde bisher versäumt. Wo es keine bewachten Badestrände gibt, ereignen sich viele Unfälle. Und da, wo Rettungsschwimmer vorhanden sind, baden an Hitzewochenenden so viele Menschen, dass man sie nicht alle im Blick behalten kann. Menschen müssen gegenseitig auf sich aufpassen, besonders auch auf die Kinder, damit rechtzeitig alarmiert werden kann.

Wer steht dafür politisch in der Verantwortung?

Die Kommunen sind zuständig, aber knapp bei Kasse. Allein den Badebetrieb aufrechtzuerhalten, kostet viel Geld. Bund, Länder und die Kommunen müssen gemeinsam daran arbeiten, mehr Bäder zur Verfügung zu stellen. Deutschlandweit gilt es, den Bedarf an Flächen zu ermitteln sowie ein entsprechendes Bau- und Modernisierungsprogramm herauszugeben. Nach dem sogenannten Goldenen Plan wurde in den 1960/70er Jahren viel investiert. So einen Plan brauchen wir wieder. Zu klären ist, welche Bädertypen es wo braucht: Kleine Funktionsbauten sind vielerorts ausreichend. Die Bäderallianz Deutschland – mit den relevanten Verbänden aus der Bäderlandschaft – wird sich beteiligen. Übrigens geht es auch um Bevölkerungsschutz: Für die Resilienz bei Hochwasserlagen benötigen wir Bäder. Es kann entscheidend sein, schwimmen zu können.

Könnte all das wegen der Finanzierung der »Zeitenwende«-Aufrüstung zu kurz kommen?

Wir setzen darauf, dass die Bäder von dem Sondervermögen für Infrastruktur in Höhe von 500 Milliarden Euro profitieren werden. Eine Milliarde, wie im Koalitionsvertrag für Sportstätten insgesamt veranschlagt, reicht dafür bei weitem nicht. Es geht um vergleichbare Lebensverhältnisse und Chancengleichheit. Von solchen Maßnahmen haben viele Menschen in der Bevölkerung etwas.

Martin Holzhause ist Sprecher der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG)

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