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Aus: Ausgabe vom 01.07.2025, Seite 5 / Inland
Verspätungen bei der Bahn

Unpünktlich wie die Eisenbahn

Verspätet auf maroden Strecken zu hohen Preisen: DB-Konzern überbietet jedes Jahr seine Negativrekorde
Von Gudrun Giese
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Kommt sie oder nicht, und wenn ja, wann? Die Bahn bleibt »ein täglicher Kampf« (Bahnhof in Düsseldorf)

»Pünktlich wie die Eisenbahn« ist eine Redewendung, an die sich nur noch Ältere erinnern können. Doch das ist lang her. Kurz vor Ablauf des ersten Halbjahres 2025 präsentierte Richard Lutz, der Vorstandsvorsitzende des bundeseigenen DB-Konzerns, mal wieder eine traurige Bilanz: Knapp 64 Prozent der Fernzüge seien in diesem Zeitraum pünktlich unterwegs gewesen, so der Bahn-Chef im Interview mit dpa, wobei »Pünktlichkeit« in der Definition des Unternehmens schon lange nichts mehr mit »Punkt 13 Uhr 44« zu tun hat wie ehemals, sondern großzügig eine Abweichung von bis zu fünf Minuten und 59 Sekunden toleriert. Lutz fand es bereits bemerkenswert, dass das von ihm geleitete Verkehrsunternehmen im ersten Quartal dieses Jahres eine Pünktlichkeitsquote von 66,3 Prozent geschafft hat, die allerdings im zweiten Quartal wieder gerissen wurde. Ursächlich dafür seien zahlreiche Anlagenstörungen und viele ungeplante Baustellen.

Im vergangenen Jahr waren die Fernzüge der Deutschen Bahn AG sogar so unpünktlich wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Gleichwohl hofft Lutz auf Besserung in diesem Jahr und hält an einem Durchschnittswert von 65 bis 70 Prozent fest. Eine solche »Pünktlichkeit« sei erreichbar, werde aber »ein täglicher Kampf bleiben«. Hauptgrund für die vielen Verspätungen und Zugausfälle sei die zu alte, störanfällige und überlastete Infrastruktur, betonte der DB-Chef. Unerwähnt ließ er dabei, dass jahrelang viele Strecken stillgelegt und Gleise entfernt wurden, während es Investitionen lediglich in einige wenige Fernverbindungen gab. Gleichzeitig nahmen die Takte auf vielen Verbindungen, etwa Berlin–Hamburg oder Berlin–Köln/Düsseldorf, deutlich zu. Kleine Verzögerungen summieren sich in einem überlasteten und maroden Netz dann schnell zu erheblichen Verspätungen. Die inzwischen begonnene Sanierung im Bestand erweist sich nun als langwierig und belastend, wie Lutz zugab, denn die wegen der schlechten Anlagenqualität oft kurzfristig eingerichteten Baustellen »sind jeden Tag im laufenden Betrieb und bei den Kunden im Personen- und Güterverkehr spürbar«. Und die Generalsanierung von 42 stark belasteten Strecken wird nun auch noch fünf Jahre länger dauern als ursprünglich geplant, nämlich bis 2035.

Immerhin hat die DB AG nicht nur eine treue, sondern sogar wachsende Kundschaft, denn in diesem Jahr sei die Nachfrage gegenüber 2024 wiederum gestiegen. Offenkundig sei den Reisenden klar, dass die notwendigen und lange verzögerten Sanierungen Zeit brauchten. Auf das Verständnis der Kundschaft hofft Lutz auch bei der Abschaffung der vergünstigten Familienreservierung. Erstmals nannte er in dem Interview nun einen wichtigen Grund für die Entscheidung, die viel Ärger bei Politik und Verbänden ausgelöst hatte: In den vergangenen Jahren habe der Missbrauch von Familienreservierungen etwa durch unberechtigte Kleingruppen zugenommen, so dass ausgerechnet Familien keine Plätze mehr bekommen hätten. Der Bahn-Chef verwies großzügigerweise auf die günstigen Fahrscheinkonditionen für Familien bei der DB, bei der Kinder bis zum vollendeten 14. Lebensjahr in Begleitung beispielsweise ihrer Eltern kostenlos mitfahren.

Offen bleibt weiter das Schicksal des »Deutschland-Tickets«. Bei einer Sonderkonferenz der Verkehrsminister aus Bund und Ländern in der vergangenen Woche bekannten sich zwar alle Teilnehmer zur Fortsetzung des Angebotes über 2025 hinaus. Doch ist nach wie vor ab 2026 ungeklärt, wer es bezahlt. Bisher kostet die Fahrkarte monatlich 58 Euro, sie berechtigt zur Nutzung aller Verkehrsmittel im Nah- und Regionalverkehr bundesweit. Den derzeitigen Zuschuss von insgesamt drei Milliarden Euro teilen sich Bund und Länder hälftig. Im kommenden Jahr steigen die Kosten bei den Verkehrsunternehmen und -verbünden allerdings. Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) ließ jedoch bisher ebenso wie die Verkehrsminister der Länder keine Bereitschaft erkennen, den Zuschuss im erforderlichen Umfang zu erhöhen. Beide Seiten schieben sich wechselseitig die Verantwortung zu. Im Moment scheint deshalb eine Preiserhöhung für die Ticketnutzer recht wahrscheinlich. Zum Jahresbeginn 2025 war die Fahrkarte um rund 18 Prozent teurer geworden.

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