Vom »Plopp« zum »Prost«
Von Barbara Eder, Klagenfurt
Sonntag mittag wurde in Klagenfurt der 49. Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen. Während im klimatisierten ORF-Landestheater der Applaus langsam verklang, blieb im Garten davor die Luft flirrend. Dort hatten Mitarbeiterinnen der »Buch Wien« in den vergangenen Tagen kühle Cocktails ausgeschenkt, Michail Bulgakow ließ grüßen – »Der Meister serviert Margaritas«. Das unbekannte Heißgetränk aus Max Höflers Text verwandelte sich kurzerhand in einen Goldstaubdrink mit Zuckerrand.
Man wolle näher dran sein am Klagenfurter Literaturgeschehen, so die Barkeeperinnen der im November stattfindenden Literaturmesse in der österreichischen Landeshauptstadt über allfällige Synergieeffekte. Was am dortigen Markt zu haben sein wird, verlangt regelrecht nach einem Preis. Mit ihren Wortmeldungen hat die im Vergleich zum Vorjahr personell unveränderte Jury die literarischen Heißluftprodukte mit dem nötigen Mehrwert ausgestattet. Unter Vorsitz von Klaus Kastberger testierten die Literaturkritiker Mara Delius, Laura de Weck, Mithu Sanyal, Brigitte Schwens-Harrant, Thomas Strässle und Philipp Tingler vier von 14 bislang unveröffentlichten Texten ihre Markttauglichkeit, versehen mit unterschiedlichen Gütesiegeln: Tara Meisters mit dem neuen Stipendium am Ossiacher See prämierter Text »Wakashu oder« galt als »betulich« (Kastberger) ebenso wie als »behutsam« (de Weck); Josefine Rieks’ »Dinner, Freitagabend« hingegen wurde ein Fall für »depressive Hedonie« (Philipp Tingler) im Anschluss an Mark Fisher. Im Text treffen Abziehbilder aus dem Lifestylemilieu rund um den Berliner Savignyplatz aufeinander, zu Beginn von Rieks Selbstpräsentationsvideo war ein KPÖ-Plakat am Wiener Yppenplatz zu sehen.
Trotz subversiver Affirmation sei es Rieks nicht gelungen, unter die Oberfläche zu gelangen, so der Grundtenor der Jurydiskussion. Nora Osagiobare schaffte den vermissten »Durchbruch« – und erhielt für ihren Text den Kelag-Preis. Mit einer Erinnerungssequenz über den Vater aus Nigeria lieferte ihre Erzählerin, eine »verkokste Bitch« aus der Medienbranche, das gelebte Kontrastprogramm zum Pitch für eine Reality-TV-Serie. Aus »Daddy Issues« wurden so »Daughter Issues«, bis zum Ende zieht die Tochter ihre Lines.

Für »Fast eine Geschichte« bekam Almut Tina Schmidt den 3sat-Preis. Deutschlandfunk-Preisträger Boris Schumatsky legte mit »Kindheitsbenzin« einen Text über einen Emigranten aus Moskau vor. Während des Fluges zu seiner Mutter trägt er eine Zyankalikapsel in der Tasche. Als große Siegerin der vier Tage ging Natascha Gangl hervor – mit einem radikal eigenwilligen Sprachkunstwerk. In »da sta« wird die Welt nicht beschrieben, sondern Silbe für Silbe aus vielen Sprachen gebaut. Dafür gab es sowohl den Haupt-, als auch den BKS-Bank-Preis.Keinen Preis gab es dagegen leider für Sophie Sumburane und ihren leichtfüßig erzählten Text »Sickergrubenblau«. Darin übt die Erzählerin sich in der Dissoziation ihrer Vergewaltigung unter Einfluss von K.-o.-Tropfen. Wenn es beim Herausziehen des Fingers aus einer dieser Wasserflaschen mit dem blauen Etikett erneut »Plopp« macht, weiß sie wieder, was in der letzten Nacht geschah. Und doch bestärken ihre Freundinnen sie nicht in ihrer Wahrnehmung, weshalb Brigitte Schwens-Harrant auch von »fehlender Frauensolidarität« sprach.
Vor der Bühne des »Salon Inge« am Klagenfurter Lendhafen trieben ein paar rosafarbene Styroporobjekte auf der Wasseroberfläche, am Donnerstag abend ging dort ein Livekonzert der Wiener Discopolitband »Laut Fragen« zu Ende. Beim Public Viewing am Rande der Preisvergabe zeigte sich immer wieder: Es waren nicht unbedingt die prämierten Texte, die vor Ort die höchsten Wellen schlugen, nach den Lesungen nippte man nur mehr leicht daran. War im bunten Cocktail des 49. Klagenfurter Literaturwettlesens, vulgo: Bachmannpreis, dann doch noch jener alles entscheidende Schuss linker Ideologie auszumachen?
In diesem Jahr war das Sprechen über Literatur vor allem ein Sprechen über Macht, Medien und Milieu. Man sagte das Richtige, um nichts Falsches zu meinen – und blieb streckenweise doch so vage, dass sich niemand angegriffen fühlen musste. Diese Regeln des Spiels konstituieren das literarische Feld, in dem Sichtbarkeit, Distinktion und Habitus aufeinanderprallen – und in dem ein Sieger nur dank der vielen existiert, die leer ausgehen. Aus dem »Plopp« der einen wird so das »Prost« der anderen – und die Mehrheit geht baden. Bei mehr als 30 Grad Celsius im Schatten lädt der Klagenfurter Wörthersee buchstäblich dazu ein.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Regio:
Mehr aus: Feuilleton
-
»Morbus Israel« und die Folgen
vom 30.06.2025 -
Quantenphysik im Dschungel
vom 30.06.2025 -
Gebet in Ruinen
vom 30.06.2025 -
Nachschlag: Arnie schlachtet
vom 30.06.2025 -
Vorschlag
vom 30.06.2025 -
Veranstaltungen
vom 30.06.2025