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Aus: Ausgabe vom 27.06.2025, Seite 15 / Feminismus
Senegal

Eine ganz neue Welt zu entdecken

Senegal: Abkehr von französischem Neokolonialismus eröffnet Chancen für Mädchen und Frauen
Von Fritz Schmalzbauer
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Graffitto in Senegals Hauptstadt Dakar (5.6.2025)

Erster Juli 2025: Im Senegal steht das Abitur (französisch: Baccalauréat, kurz Bac) an. Samanta (Name geändert) bereitet sich darauf vor. Schon vor Jahren hatte sie sich vorgenommen, als Anwältin für »die gute Sache« streiten zu wollen. Eigentlich ein aussichtsloses Unterfangen, wenn man nicht zu der frankophilen Elite des Landes zählt. Aber der Wind hat sich gedreht: Nach einer beispiellosen Jugendrevolte konnten der jetzige Präsident Bassirou Faye und sein Premierminister Ousmane Sonko vier Wochen vor dem Wahltermin das Gefängnis verlassen, das sie mit Hunderten Oppositionellen geteilt hatten. Faye gewann die Präsidentschaftswahlen im März 2024 mit 54,28 Prozent und seitdem sind die Inhalte auch in der Abiturvorbereitung auf eine neue Unabhängigkeit und Souveränität ausgerichtet.

Samanta: »Noch im letzten Jahr quälte man uns mit der sicher sehr schönen romantischen Literatur von Honoré Balzac. Das Vorortgeschehen im Pariser 19. Jahrhundert hatte allerdings mit unserer Welt nicht das Geringste zu tun. Dieses Jahr steht Ousmane Sembènes ›Die Holzstöckchen Gottes‹ auf dem Programm, ein historischer Roman über den großen Eisenbahnerstreik von 1947, bei dem gleiche Rechte für alle Arbeitenden gefordert wurden. Unsere Kultur steht bei Sembène im Mittelpunkt. Penda, die Anführerin des Frauenmarsches auf Dakar, erschossen von Dienstfertigen des französischen Kolonialregimes, ist ein Vorbild.« Samanta identifiziert sich vor allem mit Ad’jibid’ji, dem Mädchen aus Bamako, das sich neugierig und zunehmend selbstbewusst für die Sache der Streikenden einsetzt – an der Spitze der Bewegung ihr »kleiner Vater« und Lokführer Bakayoko.

Am Gymnasium im armen nördlichen Senegal studiert Samanta die großen Befreiungsbewegungen in Asien und liest zum ersten Mal den Namen Ho Chi Minh, siegreich im Kampf gegen die französischen Kolonialtruppen, über den Widerstand von Mahatma Gandhi gegen die englischen Kolonialherren und über den blutigen Krieg Frankreichs gegen die Befreiungsbewegung in Algerien. Zuletzt ging es in Geographie und Geschichte um Afrika, mit über eineinhalb Milliarden Menschen möglicherweise der Kontinent des 21. Jahrhunderts, dessen Jugend sich neu positioniert. Vier Jahrhunderte Sklaverei, so kann man nachlesen, haben die sogenannten entwickelten Länder bereichert und Afrika verarmt. Bis heute mischen sich die alten Kolonialherren in die inneren Angelegenheiten der Länder ein, deren Grenzen in der Kongo-Konferenz unter Bismarcks Aufsicht mit dem Lineal gezogen wurden.

Samanta und einige ihrer Mitbewohnerinnen, darunter die Schwester, die eine Kochlehre macht, kenne ich seit gut zehn Jahren. Einige davon haben es bis zur Abiturprüfung geschafft, die »natürlich« nicht in der Muttersprache, sondern auf Französisch abgehalten wird. Sollte Samanta das auch gelingen, ist das Bac der Schlüssel zu einer höchst unbestimmten Zukunft. Junge Frauen scheitern noch häufiger als Männer mangels Unterstützung im Studium und haben im Anschluss nur selten Aussicht auf eine »würdige Arbeit«, wie es die PASTEF-Partei des neuen Präsidenten als Ziel im Programm hat.

Trotzdem: Der Weg in die Hochschulen ist ein erster, wichtiger Schritt zur Politisierung und Selbstbestimmung. So wurde der israelische Botschafter in der Universität Dakar kürzlich von Studenten angesichts des blutenden Palästinas an einem Vortrag gehindert. Die Jugend im Senegal und an anderen Orten Afrikas erlebt heute, dass das Weltgeschehen ihre wie damals meine Generation politisiert. War es in der Vergangenheit der Napalmkrieg der USA gegen Vietnam, ist es heute der Krieg Israels gegen den Gazastreifen. Samanta möchte aus Gerechtigkeitsempfinden Anwältin werden und in ihre Welt eingreifen. Wie wäre es, wenn wir mithelfen?

Fritz Schmalzbauer ist Gründungsvorstand der Partei Die Linke

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