Puck in der Schaltzentrale. Bad Hersfelder Festspiele eröffneten mit »Sommernachtsträume«
Von Jörg Tiedjen
Die Ruine der alten Stiftskirche in Bad Hersfeld mit ihrer riesigen Freiluftbühne ist sicher einer der phantastischsten Orte für ein Theaterfestival. Groß war die Erwartung, als dort am Freitag die 74. Festspiele der nordhessischen Stadt mit der Inszenierung »Sommernachtsträume« nach William Shakespeare eröffnet wurden. Regie führt bei ihr der scheidende Intendant Joern Hinkel, für den sich damit ein Kreis schließt. Vor zehn Jahren hatte er mit einer Aufführung von Shakespeares Stück in Bad Hersfeld seinen Einstand als Regisseur gegeben, bevor er 2018 die Leitung der Festspiele von Dieter Wedel übernahm, der im Rahmen der Me-too-Proteste seinen Hut nehmen musste.
Während Hinkel 2015 die Vorlage getreu umsetzte, in der Feen und Geister die Menschen narren, gestaltet er das rätselhafte Stück zu seinem Abschied zu einer Metapher auf die Informationsgesellschaft, in der man sich im Internet noch schneller ver- und wieder entliebt als im Original. Der fabelhafte Kobold Puck setzt nicht nur magische Elixiere ein, um die Liebenden im Wald zu betören. In Hinkels Vision, in der mit alten Grammophonen, Telegraphenmasten und Plattenkameras die Anfänge der Massenmedien in Erinnerung gerufen werden, vermittelt Puck zum Beispiel auch in einer Schaltzentrale per Kabel die Telefonverbindungen.
Shakespeares »Sommernachtstraum« hat Tradition in Bad Hersfeld. Anfang der 1960er Jahre hatte der als Filmschauspieler und -regisseur in Deutschland bekanntgewordene, in die USA emigrierte William Dieterle die Leitung der Festspiele inne. Er hatte in den 1930er Jahren in Hollywood zusammen mit dem Theaterregisseur Max Reinhardt den »Sommernachtstraum« verfilmt und brachte ihn dann 1961 erstmals in der Stiftsruine zur Aufführung – als erste Komödie überhaupt. Die »Sommernachtsträume« hatte Hinkel als »noch verrückter« als Shakespeares Dichtung angekündigt, von der als einer der ersten Kritiker der Zeitzeuge Samuel Pepys gemeint hatte, dass es das »wirrste Schauspiel« gewesen sei, das er je gesehen habe.
In Bad Hersfeld war schon viel Ernstes leicht und Leichtes ernst zu sehen. Anders als bei der »Dreigroschenoper« von Bertolt Brecht, mit der die Saison 2024 eröffnet worden war, wollte der Funke bei der Premiere der »Sommernachtsträume« allerdings nicht recht überspringen. Doch das kann sich bei nachfolgenden Aufführungen ändern. Nur das groteske »Drama im Drama«, mit dem das Original wie auch die Bearbeitung endet, wurde allseits mit befreiendem Gelächter belohnt.
Getrübt wurde das Theatervergnügen vor Beginn durch die Festrede des hessischen SPD-Politikers Michael Roth, der vor der Shakespeare-Premiere bei der Eröffnung der Festspiele einen Kulturkampf um linksliberale Werte gegen Muslime beschwor und dies mit einem Lob auf Israel krönte – und der Behauptung, dass das Motto »Stell dir vor, es ist Krieg, und niemand geht hin« obsolet sei. Genau das aber könnte man nach »Sommernachtsträumen« schließen: Es kommt auf politische Widerrede an. Die Perspektive aufs Seelen- und Innenleben ist die falsche Richtung. Die »Räuber« sollten sich verbünden wie in dem Kinderstück »Ronja Räubertochter« nach Astrid Lindgren, das dann Sonnabend Premiere hatte.
74. Bad Hersfelder Festspiele, bis 18. August
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