Wimpernflug mit Peitsche
Von Vincent Sauer
Ein heißer Freitag abend im tiefsten Westberlin. Deutsche Oper, ganz oben: Gleich geht’s los, Rebecca Saunders’ Oper »Lash – Acts of Love«. Im Foyer wird die übliche gelehrig-didaktische Einführung ins zu bestaunende Werk geboten. Von der »Materialität der Sprache« ist die Rede, ihrer »Vergänglichkeit«. Man erfährt, dass das englische »Lash« mit »Wimper« übersetzt werden kann, aber auch mit »Peitsche«. Ein paar Meter weiter finden sich drei Berlinerinnen im fortgeschrittenen Alter vor prächtigen Kostümen ein: »Endlich mal wat Kleidsames!«
Uniformen, Abendgarderobe, Bauerntrachten hängen dicht an dicht an schmucklosen Kleiderstangen, entnommen dem Opernfundus. Der britische Künstler Ed Atkins hat sie rausgeholt, seine Videoinstallationen dazwischengestellt und das Ganze »Masses« getauft. Die materielle Spannung zwischen den diversen Stoffen, der sichtbaren Handarbeit und seinen animierten Filmen, wo etwa ein einsamer Junge in einem Loch Klavier spielt, konnte man bereits im Gropius-Bau erleben. Nun hat Atkins einen längeren lyrischen Monolog, der spracheffektfixiert den Körper durch Betrachtung auseinandernimmt. Hieraus hat er mit Saunders das Libretto für »Lash« gebaut.
Der Brite ist ein gefragter Mann, stellt meistens Videoinstallationen aus, in denen hochaufgelöste, superb animierte weiße Männer in sterilen Räumen leiden und Schmerzsätze sagen. Das ist meistens gelungen, da beunruhigend humandigital. Saunders, gebürtig aus London, seit 1998 in Berlin, hat so ziemlich alle wichtigen Musikpreise gewonnen, aber vorher noch keine Oper verfasst.
Am Anfang bekommt das Publikum ein geschlossenes Auge mit langen Wimpern auf einem transparenten Vorhang zu sehen. Es gehört der Schauspielerin Katja Kolm; die Kamera fährt ihr Gesicht entlang und landet vor ihrem Mund, der nicht aufgehen will, aus dem Sprache kommen soll, aber statt Worten entweichen kaum geformte Laute. Das erinnert an Becketts Monolog »Not I«. Kolm befindet sich hinter dem Vorhang in einem Kubus, sitzt auf einem Bett, die Bezüge glänzen. Kostüm- und Bühnenbildnerin Nina Wetzel hat eine dunkle kalte Welt geschaffen, das wenige Licht ist grell (Jörg Schuchardt), Videos (Sébastien Dupouey) rücken den Körpern auf den Leib, bis Poren zu sehen sind. Im Kubus, der hoch- und runterfährt, kommen dann die Sängerinnen Noa Frenkel, Anna Prohaska und Sarah Maria Sun auf die Bühne. Anfänglich stimmlich isoliert, im Konflikt zwischen Gesang und stotterndem Rezitativ, kommen später Duette, Chöre zustande, gibt es Küsse, Komik: Sie alle spielen dasselbe Ich in verschiedenen Zuständen, wofür ihnen neben Alt (Frenkel) und Sopran (Prohaska) eine erstaunliche Wandlungsfähigkeit bis hin zu rapartigen Techniken (Sun) zur Verfügung stehen. Sie schenken dem Abend durch präzise Stimmarbeit und gekonntes Schauspiel seine Intensität, schaffen beklemmende wie lustige Momente.
Saunders hat zwei Korg-Synthesizer dem Orchester zu Seite gestellt und eine E-Gitarre. Düsteres elektrisches Rauschen, das dem Bühnengeschehen eine virtuelle Qualität verleiht, wird unterbrochen von mächtigen elektrischen Saiten. Die Streicher hetzen durch den dunklen Raum, die Bläser haben Atemnot, das Schlagwerk will scheinbar etwas zum Einsturz bringen. Saunders scheut aber auch keine Melodien: Sie schmiegen sich mal Gesang und Text an, dann reiben sie sich. Später wird der Orchestergraben desintegriert wie der Körper in Atkins’ Text, vielleicht steigt das Unbewusste auf, jedenfalls erscheinen auf einmal Pauken in Kuben, eine Geige spielt vom Oberrang, dann noch mehr Instrumente. Dirigiert wird von Enno Poppe.
Atkins’ Text ist zwar in vier Akte eingeteilt, hat aber keine Handlung im strengeren Sinne zu bieten, es geht vielmehr um metaphorische Zusammenhänge, rhetorische Wiederholungen, die unter die Haut gehen sollen. Es gibt einen abwesenden Geliebten oder Geliebte. Es geht um den Tod, Sex, die großen Existenzthemen eben. Dabei wechseln die sprachlichen Register von vulgär zu hoher Ton zu technisch. Es gibt starke Stellen, aber ein bisschen beliebig wirkt das auf Dauer. Die Sängerinnen tragen erst Pyjama, dann schicke Kleider. Später wird eine eingewickelte Leiche auf einem Obduktionstisch rumgerollt, während die vier in weißen Schutzanzügen stecken: Prohaska schneidet Kolm mit einem Messer ins Auge, die nächste Anspielung ist also Buñuels Film »Ein andalusischer Hund«. Nach Verstümmelung und Horrorversen kommen wieder nostalgische Videos vergangener Liebe.
Für die Inszenierung zeichnet das Regieduo Dead Centre verantwortlich. Es gelingen Momente des Body Horror, der Melancholie, des Wahns. Etwas addiert wirken die Szenen trotzdem; mancher Videoeinsatz wird überreizt. »Lash« ist eine Auftragsarbeit; das heißt, Kompetenzen und Qualitäten kommen zusammen, aber die große Notwendigkeit fehlt oft. Die Inszenierung entstand vor Fertigstellung der Komposition, Atkins’ Text hat Kraft, aber keine Dramaturgie fürs Musiktheater. Trotzdem ist »Lash« ein packender Abend über Lust und Verlust, körperliche (Des-)Integrität mit hervorragender Musik in den düsteren Abgründen der schönen Seele.
Nächste Aufführungen: 27.6., 1., 11. und 18. 7.
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