»Nur Neubau kann keine Lösung sein«
Interview: Gitta Düperthal
Der Bevölkerung in den Städten drohen Hitzesommer. Der neu erstellte »Hitzecheck« der Deutschen Umwelthilfe, DUH, alarmiert. Welche Gefahren drohen?
Menschen sind bei hohen Temperaturen Gesundheitsgefährdungen ausgesetzt, insbesondere Kinder und ältere Personen. Ein durch Herz- oder Kreislaufprobleme vorbelasteter Organismus ist stärker gefährdet. Es beginnt mit leichten Kopfschmerzen, kann mit Hitzekollaps enden. Das Robert-Koch-Institut schätzte die Zahl der hitzebedingte Todesfälle bundesweit in den Jahren 2023 und 2024 auf jeweils 3.000.
Müssen Städte präventiv tätig werden?
Europa wird von Klimafolgen betroffen sein. Mehr als 12 Millionen Menschen leben in Deutschland direkt an ihrem Wohnort mit hoher Hitzebelastung. Vor allem süddeutsche Städte sind betroffen, wie zum Beispiel Mannheim, Ludwigshafen, Worms oder auch Frankfurt am Main, Rüsselsheim und Offenbach. Im Norden ist die Lage bisher entspannter. Kriterium für Überhitzung ist die Oberflächentemperatur in den Sommermonaten: im Fall von großer Bevölkerungsdichte, starker Versiegelung, wenig Grünflächen. Städte mit ausgedehnten Verkehrswegen, Gewerbe- und Industriegebieten, aber kaum Kühlung durch große Bäume sind hitzeanfälliger.
Wie ist der Hitzeschutz zu gestalten?
In Mannheim hat man die Gefahr erkannt und einen Hitzeaktionsplan entworfen, mit öffentlichen Brunnen und kühlen Rückzugsräumen. Es geht um die Frage: Wo kann man entsiegeln und neu begrünen?
Tun die politisch Verantwortlichen aus Ihrer Sicht genug?
Die Verkehrsinfrastruktur in Kommunen und Städten wurde in vergangenen Jahrzehnten deutlich ausgebaut, um sie autogerecht zu machen. Ein paar Bäumchen pflanzen hilft nicht. Es gilt, Flächen zu entsiegeln, gezielt zu begrünen. Um eine Transformation hinzubekommen, fehlt oft Geld und Personal.
Sie fordern eine verbindliche Obergrenze für Neuversiegelung im Raumordnungsgesetz. Bundesbauministerin Verena Hubertz, SPD, aber will den »Bauturbo« und »entbürokratisieren«. Fehlt der politische Wille?
Nur Neubau kann keine Lösung sein. Gebäude müssen umgebaut – um sie herum Grünflächen eingeplant werden; Leerstände von Bürogebäuden, etwa aufgrund von Homeofficenutzung, gilt es zu nutzen. Die Städte konkurrieren, erhöhen ihre Einwohnerzahlen, um mehr Steuern einzunehmen. Da hilft eine Regionalplanung für die Flächennutzung, wie sie etwa das Regierungspräsidium Darmstadt in Südhessen angeht. Bei der Frischluftgenerierung muss stringenter limitiert werden: Wo müssen Flächen freigehalten und dürfen nicht mehr bebaut werden?
In Frankfurt am Main ist zehnspuriger Autobahnausbau der A 5 geplant. Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder von der CDU will Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen. Klingt nicht, als sei Klimaschutz prioritär.
Wohnungs- und Verkehrsplanung sollten nicht mehr unabhängig voneinander vorgenommen, sondern integriert miteinander abgewogen werden. Verkehr entsteht auch, weil gependelt werden muss. Beim Wohnungsbau gilt es, Mobilität mitzudenken.
Die Bundesregierung will Brücken und Autobahnen ausbauen, damit sie für Panzer befahrbar sind. Ist das die richtige Richtung?
Es ist ein komplett falscher Ansatz, wenn wir panzertaugliche Brücken und Straßen haben, aber um die Gesundheit der Menschen zu schützen, kein Geld mehr da ist: etwa um sie vor Hitzeschäden zu bewahren.
Was tut die DUH für klimagerechte Planung?
Es gibt auch den harten Hebel, vor Gericht zu klagen für ausreichende Klimaschutzprogramme, auch gegen die Bundesregierung. Die DUH unterstützt Projekte, um Schulhöfe zu begrünen, in mehreren Bundesländern.
Ist das nicht ein Tropfen auf den heißen Stein?
Wir müssen befürchten, dass es mit der neuen Bundesregierung möglicherweise eine Phase mit Rückschritten geben könnte. Wir tun – im Bündnis mit Naturschutz- und Nichtregierungsorganisationen – unser Bestes, um dagegenzuhalten.
Markus Zipf ist Fachbereichsleiter kommunaler Umweltschutz bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH)
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