Gegründet 1947 Sa. / So., 21. / 22. Juni 2025, Nr. 141
Die junge Welt wird von 3019 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 21.06.2025, Seite 2 / Inland
SPD-Friedensmanifest

»Wissen um die Bedeutung von Diplomatie fehlt«

SPD trägt die Militarisierung mit. Manifest rückt Rüstungskontrolle und Diplomatie wieder in den Fokus. Ein Gespräch mit Arno Gottschalk
Interview: Niki Uhlmann
imago807479629.jpg
Friedensdemonstration vor dem Bundestag (Berlin, 18.3.2025)

Die Kritik am Friedensmanifest, das Sie mit anderen SPD-Politikern vorgelegt haben, reißt nicht ab. Wie oft wurden Sie seit der Veröffentlichung als Putin-Versteher betitelt?

In den sozialen Medien geht das hoch und runter. Da ist es nicht schwer, einen Shitstorm abzubekommen. Im persönlichen Bereich sieht es ganz anders aus. Im Bremer Zentrum wurde ich vermehrt von Leuten angesprochen, die sich dafür bedankt haben, dass wir nicht alle auf Kriegstüchtigkeit setzen. Laut einer Erhebung von INSA finden 38 Prozent der Befragten das Manifest gut und 38 Prozent schlecht. Bei Yougov fanden es sogar 52 Prozent eher gut. In beiden begrüßten SPD-Wähler es mehrheitlich. Diese Umfrageergebnisse hatten wir so nicht erwartet.

Warum wurde diese Stimmung nicht früher aufgegriffen, sondern die Debatte erst jetzt geführt?

Diese Stimmung wächst schon seit längerem. Ausschlaggebend für das Manifest waren die Pläne der NATO, die Rüstungsausgaben auf dreieinhalb bis fünf Prozent zu steigern. Anfangs dachte man, das sei nur eine fixe Idee von Trump: »Naja, der eben.« Das wird jetzt Realität, und unsere SPD ist bereit, das in der Regierung mitzutragen. Durch diese kritische Situation ist die kritische Masse entstanden. Es darf nicht sein, dass unser Identitätskern, Friedenspartei für soziale Politik zu sein, unwidersprochen untergraben wird. Darum haben wir ein Zeichen gesetzt und die Frage der Friedenssicherung aufgeworfen.

Pistorius schlug sofort denunziatorische Töne an. Die SPD-Spitze ging etwas vorsichtiger auf Distanz. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass der SPD die Prinzipien von Helsinki überhaupt nicht mehr wichtig sind. Stimmt das?

Man muss bei dieser Reaktion berücksichtigen, dass sich Mitglieder, die nach 1975 geboren wurden, nie eingehender mit Fragen von Auf- und Abrüstung, von Frieden und Krieg auseinandergesetzt haben. Bei Afghanistan und Mali gab es kleinere Diskussionen. Das war aber alles weit weg. Auch das Wissen, dass der Krieg in Serbien ohne UNO-Mandat stattfand, möglicherweise problematisch war, ist in den Köpfen gar nicht drin. Erinnert wird eher, dass ein Genozid verhindert werden sollte und dass das moralisch richtig war. Genauso fehlt die Kritik an der Verengung auf das Militärische, das Wissen um die Bedeutung von Rüstungskontrolle und Diplomatie.

Und die Bremer SPD?

Bremen ist bei den Unterzeichnern prominent vertreten. Einige waren im Erhard-Eppler-Kreis an der Formulierung des Manifests beteiligt. Viele hier kommen aus dem klassischen Friedensspektrum der SPD. Wir haben aber auch viele Mitglieder, die noch nicht richtig wissen, wie sie mit dem Thema umgehen sollen. Einig ist man sich bei der Verurteilung des Ukraine-Kriegs. Ein kleinerer Teil befürwortet klar diplomatische Anstrengungen. Viele stehen Verhandlungen mit großer Skepsis gegenüber, wissen aber auch nicht, wie man den Konflikt beenden kann.

Anders ist es bei der Aufrüstung, die sehr viele für notwendig halten. Da dominiert die Angst, Russland sei der NATO überlegen, zumal die Amerikaner sich zurückziehen. Die meisten haben allerdings überhaupt keine Vorstellung von den realen militärischen Kräfteverhältnissen. Beim Fünfprozentziel klickt es aber bei vielen. Was das mit der realen Bedrohung noch zu tun haben und wie es mit anderen Ausgaben abgestimmt werden soll, erschließt sich kaum jemandem. Insgesamt ist die Situation aber eher diffus und geprägt von der Stimmungsmache in den Medien.

Ist nach dem Parteitag Ende Juni eher mehr oder eher weniger Friedenspolitik zu erwarten?

Auf jeden Fall werden Manifest und Friedenssicherung diskutiert. Eine Mehrheit wird es wohl noch nicht finden. Meiner Einschätzung nach wird bei den Delegierten der Gedanke dominieren, dass man die Koalition nicht in Frage stellen sollte. Manche befürchten angesichts der Machtverhältnisse an der Parteispitze, dass von einem neuen Grundsatzprogramm eigentlich nichts Positives zu erwarten sei, dass versucht wird, die neue Linie festzuklopfen. Ich glaube aber, dass sich die Grundsatzdebatte nicht so sehr steuern lässt und das Ergebnis offen ist. Erstmal ist sie eine Chance.

Ist die SPD auf Kriegskurs?

Nein. Wir sind in der inneren Verfassung dieser Partei weit weg von dieser bellizistischen Atmosphäre bei den Grünen.

Arno Gottschalk ist Koautor des Manifests der SPD-Friedenskreise und Sprecher für Haushalt und Finanzen in der Bürgerschaft Bremen

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Mit neuer Kraft aus unerwarteter Ecke? Die Friedensbewegung könn...
    20.06.2025

    Ein Auftakt

    Das »Manifest« aus SPD-Friedenskreisen hat erhebliche positive Resonanz
  • Im Sternmarsch zur großen Manifestation für den Frieden (Berlin,...
    04.10.2024

    Zehntausende für Frieden

    Erfolgreiche Demonstration gegen Krieg und Hochrüstung in Berlin. Redner für Diplomatie statt Waffen

Mehr aus: Inland

                                                                   junge Welt stärken: 1.000 Abos jetzt!