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Aus: Ausgabe vom 21.06.2025, Seite 5 / Inland
Dekarbonisierung

Der Ofen ist aus

Arcelor-Mittal begräbt Pläne für »grünen« Stahl an BRD-Standorten in Bremen und Eisenhüttenstadt. IG Metall kritisiert Konzern scharf und fordert Krisengipfel
Von Oliver Rast
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Altindustrie pur: Im Warmwalzwerk auf der Fertigungsstraße für Flachstahl in Eisenhüttenstadt

Groß ist die Unruhe. In der Belegschaft. Kein Wunder: Am Donnerstag abend verkündete der Stahlriese Arcelor-Mittal das Aus für eine CO2-reduzierte und später klimaneutrale Produktion von Stahl mittels »grünem« Wasserstoff. Jedenfalls an den deutschen Standorten Bremen und Eisenhüttenstadt. Die IG Metall (IGM) reagierte rasch, verurteilte am Freitag die Kehrtwende des Konzerns »scharf« – und forderte seitens des »schwarz-roten« Bundeskabinetts »einen Krisengipfel für die Stahlindustrie«.

Bloß – warum die Abkehr von der Dekarbonisierung? Der Bau von Elektrolichtbogenöfen bzw. Direktreduktionsanlagen sei – unter den aktuellen deutschen Rahmen- und Förderbedingungen – nicht wettbewerbsfähig, nicht wirtschaftlich. Sagen die Bosse des weltweit zweitgrößten Stahlproduzenten mit Leitungssitz in London. Kurz erklärt: Im Elektrostahlverfahren wird recycelter Stahlschrott als Rohstoff im Elektrolichtbogenofen unter Verwendung von Strom aus erneuerbaren Quellen eingeschmolzen. Im Vergleich zur traditionellen Hochofenroute entstehen erheblich weniger Kohlendioxidemissionen. Beim Direktreduktionsverfahren wird Eisenerz mit Wasserstoff statt Koks reduziert. Dabei entsteht Eisenschwamm, der dann im Elektrolichtbogenofen zu Stahl weiterverarbeitet wird.

Kurios ist: Der Bund, also der Steuerzahler, hätte den Ökoumbau der beiden Arcelor-Mittal-Flachstahlwerke gesponsert. Mit 1,3 Milliarden Euro. Offenbar nicht genug. Und offenbar ist die Transformation geschäftlich zu risikoreich. Jürgen Kerner regt das auf. Die Entscheidung der Firmenleitung an der Themse sei strategisch kurzsichtig, unternehmerisch falsch »und mit Blick auf die Beschäftigten wie auch auf die gesamtgesellschaftlichen Folgen in höchstem Maße unverantwortlich«, betonte der Zweite IGM-Vorsitzende. Eine dekarbonisierte Stahlindustrie sei ein Jahrhundertprojekt und bedeute eine Kraftanstrengung aller Beteiligten. Kerner: »Die einzigen, die die Nerven verlieren und wackeln, sind die Manager von Arcelor-Mittal.«

Fakt ist, es geht um die Grundstoffindustrie in Deutschland, nicht zuletzt um die »grüne« Wasserstoffstrategie hierzulande. Beide dürften nicht »Kleingeistern« in Konzernzentralen überlassen werden. »Stahl muss Chefsache werden«, so der IGM-Vize weiter. Also der Regierung, des Kanzlers. Umgehend.

Das fordern gleichfalls Metaller in Bremen. Werk, Belegschaft, ja, die ganze Bremische Gesellschaft sei betroffen durch den Unternehmensbeschluss, betonte die Geschäftsführerin der örtlichen IGM-Geschäftsstelle, Ute Buggeln, am Freitag im jW-Gespräch. »In Bremen hängen an der Stahlindustrie einschließlich der Zulieferer rund 10.000 Arbeitsplätze.« Besonders bitter: Die Pläne für den Bau eines Elektrolichtbogenofens lägen ausgearbeitet auf dem Tisch. »Wir könnten eigentlich sofort loslegen. Und dann das.«

Alarmiert ist ferner der »rot-grün-rote« Bremer Senat. Der Konzern sei jetzt am Zug, Auskunft über seine weiteren Pläne zu geben, sagte ein Senatssprecher am Freitag im jW-Gespräch. Mehr noch: Ein Bekenntnis zum Werk und zur Stahlproduktion in der Hansestadt sei notwendig. Zumal die Regierung des Stadtstaats alles Erforderliche getan habe, den Umbau der Produktionsstätte finanziell mit 250 Millionen Euro abzusichern, zusätzlich zu den zugesagten knapp 600 Millionen Euro vom Bund.

Etwas entspannter ist die Situation in Eisenhüttenstadt. Hier wäre erst nach 2030 umgerüstet worden, erklärte Holger Wachsmann, Erster Bevollmächtigter der IGM Ostbrandenburg, am Freitag gegenüber jW. Auf der Betriebsversammlung am Freitag mittag wirkten einige Kolleginnen und Kollegen dennoch spürbar verunsichert. Die Geschäftsführung habe indes zugesichert, dass die Planungsgruppe zum Bau von Elektroöfen weiterarbeite, um vorbereitet zu sein, falls eine CO2-reduzierte Stahlproduktion am Standort wirtschaftlich sinnvoll sein sollte.

Bemerkenswert: Anders als Arcelor-Mittal bekräftigte der deutsche Branchenprimus Thyssen-Krupp seine »Grünstahlpläne« am Freitag. Vier Tage zuvor hatte bereits der Dekarbonisierungsdirektor der Stahl-Holding Saar, Michael Bott, gegenüber der FAZ erklärt: »Alle Genehmigungen liegen jetzt vor, zum ersten Mal in Deutschland.« Für Bau und Betrieb zweier bestellter Elektroöfen im Wert von 2,4 Milliarden Euro.

Davon sind die Bremer Stahlwerker weit entfernt. Deshalb werde es eine Kundgebung vor dem Werkstor geben, kündigte Buggeln an. »Wir müssen uns gewissermaßen sammeln.« Denn der Ärger der Kolleginnen und Kollegen sei groß, »muss sich artikulieren«. Wird aus Unruhe Aufruhr? Ein bisschen vielleicht?

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