Boss gegen Horrorclown
Von Nick Brauns
So ernst und besorgt hat man Bruce Springsteen selten erlebt. Das Amerika, das er liebt und über das er geschrieben hat, das »Leuchtfeuer der Hoffnung und der Freiheit«, befindet sich heute in den Händen einer »korrupten, inkompetenten und verräterischen Regierung«, begrüßt der gentlemanlike in grüner Tweedweste mit Krawatte gekleidete 75jährige Sänger am Mittwoch abend die Besucher seines ersten Deutschland-Konzerts der laufenden »The Land of Hope and Dreams«-Europatournee. Alle, die an die Demokratie glauben, sollen sich »mit uns erheben, ihre Stimmen gegen den Autoritarismus erheben und die Freiheit erklingen lassen«. Begeisterter Applaus unter den 75.000 Besuchern im ausverkauften Olympiastadion.
Zusammen mit der 17köpfigen E-Street-Band – Drummer Max Weinberg, Gitarrist Steven Van Zandt und Saxofonist Jeff Clarence im Mittelpunkt – spielt der »Boss« gegen den »kriminellen Clown« auf dem Thron an (»House of a Thousand Guitars«). Sein Song »Rainmaker« über einen Scharlatan, der angesichts eines brennenden Hauses gerufen wird, ist »our dear leader« gewidmet.
Der Sound ähnelt anfangs noch dem auf einem der zahlreich kursierenden Springsteen-Bootlegs. Besser soll es außerhalb des Stadions gewesen sein, wo es sich Fans ohne Tickets, dafür mit billigem Bier, bequem gemacht haben.
Eine weitere Ansprache wird in deutscher Übersetzung auf Großleinwand übertragen. Springsteen spricht von dem Schmerz, den die sadistische US-Regierung den Arbeitern und den ärmsten Kindern auf der Welt zufügt, und vom Einsatz der Armee gegen die eigene Bevölkerung in Los Angeles. »Es passiert jetzt!« so sein Alarmruf und der Appell: »Organisiert euch! An den Arbeitsplätzen. Und friedlich auf der Straße.«
Die Setlist enthält wütende Lieder, nachdenkliche Lieder, aber auch Mutmacher: »Come on, rise up! Come on, rise up!« ertönt der Chor in »My City of Ruins«. Der Kampf ums »Promised Land« ist noch nicht verloren, lautet die Botschaft des Abends: »No surrender!«
Erst in der letzten Stunde des dreistündigen Marathons durch 29 Songs kommen die Gute-Laune-Kracher von »Dancing in the Dark« bis »Twist and Shout«. Das letzte Lied, Bob Dylans »Chimes of Freedom«, widmete Springsteen den Besuchern seines legendären Konzerts am 19. Juli 1988 in Ostberlin. Deren »Freiheit« besteht heute auch darin, um die 100 Euro oder mehr für ein Springsteen-Ticket berappen zu müssen, während das Konzert 1988 kostenlos war.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Regio:
Mehr aus: Feuilleton
-
Gott allein weiß
vom 13.06.2025 -
Nachschlag: Unaufgeregt
vom 13.06.2025 -
Vorschlag
vom 13.06.2025 -
Wie frei darf’s denn sein?
vom 13.06.2025 -
Über Standesgrenzen hinweg
vom 13.06.2025 -
Poesie mit dem Hammer. Zum Tod des Künstlers Günther Uecker
vom 13.06.2025