Gegründet 1947 Sa. / So., 14. / 15. Juni 2025, Nr. 135
Die junge Welt wird von 3011 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 13.06.2025, Seite 11 / Feuilleton
Pop

Gott allein weiß

Zum Tod des Musikers Brian Wilson
Von Peer Schmitt
11.jpg
»Wouldn’t it be nice if we were older?« - Die Beach Boys im Juli 1966

Hundegebell. Auf der mit »God Only Knows« eingeleiteten zweiten Seite der Beach-Boys-LP »Pet Sounds« geht es durchgängig um Trauer und Abschied, eine Tragödie vom Älterwerden, der Zerbrechlichkeit der Schönheit mit einem traurigen, dicklichen Jungen am Klavier als Helden, sagen die Biographen. Doch am Ende zu hören ist: Hundebellen aus weiter Ferne, dazwischen das Rattern eines vorbeifahrenden Zuges. »Kannst du dir mich auf diesem Zug vorstellen?« hatte Brian Wilson seine erste Ehefrau Marylin gefragt, als die Platte fertig war. Ein Zug, der von weit draußen in das Kinderspielzeugland dieser »Musique concrète« fährt.

Mittlerweile gibt es von »Pet Sounds« freilich längst historisch-kritische Editionen und als Zugabe unzählige literarische, historische, musiktheoretische Abhandlungen zum Thema. Brian Wilson selbst hat in den 2000er Jahren seine gewissermaßen zweite Karriere mit der öffentlichen Pflege und Wiederherstellung des kulturellen Erbes seiner Hochphase bestritten. Er hatte schließlich recht behalten, als er der Überlieferung nach Marilyn prophezeite: »Schatz, ich werde das großartigste Album machen, das großartigste Rockalbum, das jemals gemacht wurde.« Um diese Arbeit damals kontrolliert erledigen zu können, schickte er die anderen Beach Boys auf Tournee und spielte die Platte zwischen November 1965 und April 1966 mit den besten Studiomusikern ein, die in Kalifornien für Geld zu haben waren, der Wrecking Crew.

Die Plattenfirma Capitol mochte das Album nicht besonders. Hundegebell? Wie zur Hölle soll man das vermarkten? Brian Wilson, der nicht nur berufsbedingt Tape Recorder liebte, entwickelte eine eigenwillige Strategie, mit den Angestellten der Plattenfirma zu kommunizieren. Er hielt ein Tape mit vorgefertigten Antworten bereit, darunter »Ja«, »Nein«, »Kein Kommentar«, »Können Sie das bitte wiederholen?«, und spielte die dem Augenblick jeweils angemessene Antwort ab.

Es kam, wie es kommen musste. In den USA floppte das Album. Um es wenigstens in England zu einem Hit zu machen, engagierte die Plattenfirma den Presseagenten Derek Taylor. Der erfand die Tagline »Brian Wilson is a genius«. Brian Wilson ist ein Genie. Damit konnte man arbeiten. Brian Wilson ist das erste offiziell als ebensolches apostrophierte Genie der Popgeschichte.

Er begann bescheiden. Brian Wilson wurde am 20. Juni 1942 in Inglewood, im Südwesten des Großraums Los Angeles, geboren. Sein Vater Murry war ein Gelegenheitskomponist und Möchtegernpopmogul. Die Beach Boys gründeten sich quasi als Garagenband im Haus der Familie Wilson. Die Originalbesetzung bestand aus Brian, seinen beiden jüngeren Brüdern Dennis und Carl sowie ihrem Cousin Mike Love und dem Schulfreund Al Jardine. Mehr aus Verlegenheit sprangen sie auf den erfolgreichen Surfmusikzug auf. »Surfin’ Safari« wurde 1962 ihr erster Hit.

Brian Wilson hatte keine leichte Kindheit. Sein Vater prügelte und quälte ihn. Später verhökerte er die Verlagsrechte an den Kompositionen seines Sohnes weit unter Wert. Dessen Ambitionen hatte er offen verlacht, vielleicht weil er sie heimlich besser verstand als mancher andere. »Das soll ein Hit sein? Klingt für mich wie der Abschiedsbrief eines Selbstmörders«, lautete sein Kommentar, nachdem Brian ihm eine erste Version von »God Only Knows« am Klavier vorgespielt hatte.

Seit seiner Kindheit war Brian Wilson auf einem Ohr so gut wie taub und bekam wohl seit 1963 regelmäßig Panikattacken und psychotische Schübe. Er fraß das seinerzeit noch legale LSD wie andere Leute Gummibärchen, soff Bier wie ein Kutscher und rauchte wie ein Schlot (bis zu sechs Schachteln Marlboro am Tag). Auch das führte zu den Zusammenbrüchen in den 70ern und 80ern. Zwischenzeitlich war Brian Wilson nur ein von Psychotherapieaasgeiern wie seinem geldgeilen Psychiatervormund Eugene Landy abhängiges Gemüse.

Zwischendurch komponierte er die schönste Popmusik, die je zu hören war. »Als ich ›Pet Sounds‹ aufnahm, träumte ich von einem Heiligenschein über meiner Schulter«, erinnerte er sich. Seine Vorlieben waren alter R ’n’ B, Vokaljazz und die gespenstischen elektronischen Sci-Fi-Soundtracks der 50er Jahre. Er war die verkörperte Idiosynkrasie. »Wir waren counter-counter­cultural«, sagte sein Kollaborateur Van Dyke Parks einmal. Sein Kompositionsstil war vertikal. Er ging von Blockakkorden aus, die ihn zu einer ambigen bzw. freien Tonalität führten. »Pet Sounds« ist ein Codewort für Modulation und Polytonalität.

Er lernte schnell sehr viel und zauberte aus einem reizvollen, aber schlichten R-’n’-B-Surf-Pop-Idiom etwas, das Jazz und Neue Musik ihm vorgemacht hatten: das Aleatorische und den puren Lärm zu integrieren, die Klaviersaiten mit Rasiermessern zu traktieren, die Celli klingen zu lassen wie Propeller an Bombern im Anflug auf Tokio. Und er hatte auch noch die Chuzpe, speziell diesen Sound in aller Unschuld »Good Vibrations« zu nennen. Da schrieb man das Jahr 1966. Brian Wilson arbeitete an seinem geplanten Opus Magnum »Smile«. Die Texte sollte Van Dyke Parks beisteuern. Mike Love bezeichnete Parks’ Lyrik als reine »acid alliteration«. Bekanntlich blieb »Smile« nur Fragment. Wilson und Parks veröffentlichten 2004 dann eine neu fertiggestellte Version.

Brian Wilson, das Genie des südkalifornischen Alptraums, der Mann, der an seiner eigenen Ambition, eine »Teenage-­Sinfonie an Gott« (»Smile«) zu schreiben, spektakulär scheitern musste, starb 82jährig am 11. Juni.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Mehr aus: Feuilleton

                                                                   junge Welt stärken: 1.000 Abos jetzt!