Rotlicht: Heldenreise
Von Felix Bartels
You’ve taken your first step into a larger world. – Tatsächlich formuliert Obi-Wan da seinem Schüler Luke konzis das Prinzip der Heldenreise. Wie auch den Weg, den George Lucas selbst nahm, als er inmitten einer Sinnkrise Joseph Campbells »The Hero with a Thousand Faces« las. Und dann »Star Wars« schrieb, das dem Campbell-Muster fast übertrieben streng entspricht. Der Kinoerfolg 1977 kam nicht zuletzt daher. 1984 begegneten sich Lucas und Campbell in San Francisco, der Padawan und sein Yoda. Viel zu besprechen die beiden hatten.
Campbell hatte 1949 Erzählungen zahlreicher Völker verglichen und Konstanten gefunden: »Hero’s Journey« als universelle Erzählstruktur. Jene »tausend Gesichter« meinen genau das, in Anlehnung an James Joyce spricht Campbell von einem »Monomythos«. Ihm vorausgegangen war der sowjetische Forscher Wladimir Propp, der 1928 eine »Morphologie des Märchens« ermittelte. Dort findet sich bereits, was Campbell später in den globalen Mythen ausmachte: Der Held tritt in eine größere Welt ein, muss sich dort gegnerischen Mächten stellen und kehrt in die alte Umgebung zurück. Propps initiale Erkenntnis: Märchen gleichen sich weniger aufgrund einzelner Sujets und Motive als vermöge ihrer Handlungsstruktur. So identifiziert Campbell 17 Stationen, die die Heldenreise konsekutiv, doch nicht spezifisch charakterisieren. Einzelne dieser Stufen, heißt das, können in der konkreten Erzählung wegfallen, ihre Reihenfolge aber ist zwingend.
1998 adaptierte Christopher Vogler das Modell. Die 17 Stufen brachte er auf zwölf, nicht zur Vereinfachung – zur Modernisierung. Dass der Held bei Campbell etwa ein Elixier gewinnt und zu seinem Heimatort mitbringt, ist dem mythischen Zusammenhang geschuldet. Vogler übersetzt die archaische Fasslichkeit, bei ihm kann das Elixier plastisch sein, aber auch in der charakterlichen Reifung des Helden bestehen. Der Held der Heldenreise lebt in einer unzureichenden Welt. Er wird von einem Herold zum Abenteuer gerufen (oder gezwungen durch Umstände). Dem Ruf verweigert er sich zunächst, ein Mentor erscheint und leitet ihn. Der Held übertritt die Schwelle, wonach es kein Zurück gibt. Er findet Verbündete und muss sich bewähren. So dringt er in die tiefe Höhle des Feindes vor und überwindet ihn. Er erhält einen Schatz, ein Elixier oder besonderes Wissen. Auf dem Rückweg entgeht er einer todesbedrohlichen Situation (was seine Auferstehung verkörpert). Der Held ist durch Erfahrung gereift, er kehrt zurück und wird mit Anerkennung belohnt.
Dieses idealtypische Muster trägt in Mythos, Weltliteratur und Popkultur. Von Odysseus und Gilgamesch, Jona und Joseph, Siegfried und Beowulf, Iwan Iwanowitsch und Rotkäppchen über Don Quichotte, Simplizissimus, Candide, Pinocchio, Frodo oder Paul Atreides bis hin zu Luke Skywalker, Bastian Bux, Harry Potter, Simba, Percy Jackson und Vaiana. Gaimans »Stardust«, Hacks’ »Schuhu« oder Kehlmanns »Tyll« erzählen ebenfalls eine Heldenreise. Offensichtlich liegt darin etwas, das alle Menschen an allen Orten zu allen Zeiten interessiert, und einen besseren Grund für Erzählung gibt es nicht.
Eine jüngere Entwicklung hat Kim Hudson angestoßen. In »The Virgin’s Promise« (2010) stellt sie fest, dass die klassische Heldenreise meist männliche Protagonisten hatte, und leitet daraus ab, dass die Heldenreise selbst patriarchalen Charakter besitze. Sie müsse daher nicht weiblich besetzt, sondern mit einer weiblichen Art Heldenreise konterkariert werden, einer innerlichen. Ermächtigung statt Erkundung. Die Heldin begreift, dass sie genau so, wie sie ist, gut ist und dass sie gar nichts muss. Während bei Campbell der Held gerade gesellschaftliche Verantwortung lernt, verknüpft Hudson weibliches Empowerment mit Asozialität. Zumal sie damit das patriarchalische Muster »man does, woman is« (Ranke-Graves) im Namen der Emanzipation fortschreibt. Im Hause Disney hat man die Signale gehört, »Turning Red« (2022), »Arielle« (2023) oder »The Acolyte« (2024) haben diese vorgeblich weibliche Heldenreise Erzählung werden lassen.
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