Diesseits von Afrika
Von Norman Philippen
Die Dokumentation »Code der Angst« zeigt am Beispiel Kameruns mit der kolonialen gleichsam die globale Mitverantwortung am auch jenseits Afrikas tödlichen Hass auf queeres Leben. Irrationale Homophobie grassiert global. Um homophobe Gewalt zu dokumentieren, hätte der Berliner Regisseur Appolain Siewe nicht in sein Geburtsland Kamerun reisen müssen, die findet alltäglich auch auf hiesigen Straßen statt. Die Folterung und Ermordung des 22jährigen Kameruner LGBTQ+-Aktivisten Eric Lebeme 2013 – von der Siewe aus der Presse Berlins erfuhr, wo er als Student ab 1997 erstmals der Existenz homosexueller Szenen gewahr wurde – ließ ihn aber nicht los. »Ich habe so etwas wie ein Anziehungsgefühl für das Anderssein entwickelt. Ein Lernprozess, der mich geprägt hat«, spricht der mit Ausgrenzung in der deutschen Hauptstadt selbst gut bekannt gewordene Siewe aus dem Off der Dokumentation, mit der er der Frage nachgeht: »Warum müssen Menschen wie Eric sterben?«
Als er seinem Vater telefonisch vom Film- und Reiseplan erzählt, fragt der, ob Siewe »nichts besseres zu tun« habe, »als sich mit solchen Dummheiten zu beschäftigen«. Seien Homosexuelle doch »schlimmer als Tiere«. Den nächsten Anruf, mit dem der Sohn seine Ankunft im Heimatdorf ankündigt, nutzt jener als Warnung, das Dorf zu fliehen, bevor Siewe dort eintrifft. Da ist aber der Onkel, der vom Thema nichts hören möchte, sondern will, dass sein Neffe ein Huhn zwecks Vorfahrenehrung schlachtet und seine europäischen Vorstellungen auf dem Kontinent belässt. Auch des Regisseurs frühere Freunde, derer er zwei in Kameruns wichtigster Hafenstadt Douala trifft, haben sich von ihm – und umgekehrt – entfremdet. »Mein Unverständnis für die wachsende Homophobie in Kamerun wird von ihnen schnell verurteilt«, sagt Siewe aus dem Off. »In Europa werden also Männer zu Frauen, und du akzeptierst das? Das läuft so nicht!« sagen die Exfreunde. So auch ein Taxifahrer in Douala: »Sie verurteilen Polygamie und drängen uns ihre Homosexualität auf, das geht so nicht.«
Allerdings, davon berichtet vor allem der Pastor und Rektor der evangelischen Universität Kameruns, Jean-Blaise Kamogne, drängte Europa Kamerun per Kolonialknute und Christianisierung wohl erst in den Irrglauben, die Homo- sei eine justitiabel verdammenswerte Irregularität der gottgewollt reproduktiven Sexualität. Eine vorgebliche Ablehnung kann Kamogne nämlich erst ab 1884 attestieren, da die Deutschen kamen. Dann die Franzosen. Darauf die Briten. Und mit ihnen ihre Kirche. Und Gesetze, die noch heute angewandt werden, um Homosexualität unter Strafe zu stellen. »Einige müssen noch begreifen, dass Homosexualität zur afrikanischen Kultur gehört«, sagt er. »Und einige müssen eines begreifen: Obwohl Homosexualität heute versteckt und nur im Verborgenen gelebt wird, hat sie in Afrika immer schon existiert.«
Wie in jedem Winkel der belebten Welt findet Homosexualität als immer zu verteidigender Normalfall der Sexualität auch in Kamerun statt. Siewes eindrückliche Montage von Interviews mit LGBTQ-Aktivisten, Menschenrechtlerinnen und Wissenschaftlern, Archivmaterial und biographischen Passagen macht die Komplexität der Bedrohungslage nicht nur für dortige queere Menschen greifbar, sie zeigt auch, wie sehr Homofeindlichkeit auf der Kolonialgeschichte und christlich-fundamentalistischen Einflüssen beruht.
»Code der Angst« dokumentiert individuelle, jedoch keine Einzelfälle. Der Film erzählt von mutigen, widerständigen Menschen, die einen gefährlichen Kampf für Gleichberechtigung und gegen ein repressives, von Politik, Justiz und Medien gestütztes patriarchales Machtsystem führen. Letzteres ist kein »afrikanisches Problem«, sondern als globale Herausforderung zu verstehen. Ein Aufruf zu internationaler Solidarität, zur Anerkennung queerer als universeller Menschenrechte. Den nicht überhören sollte, wer findet, dass queere Menschen sich nirgends mehr mittels Codes der Angst im Verborgenen verständigen müssen. Wie im Café, in dem sich der Aktivist Lambert Marc Lamba bis zu seinem frühen Tod mit Mitstreitern traf und gegen alle Widrigkeiten den dort hängenden Spruch zu beherzigen versuchte: »Ein Gewinner ist ein Träumer, der niemals aufgibt.« So wie Kameruns bekannteste Menschenrechtlerin Alice Angel Nkom, in deren Vereinshaus in Douala eine »Wand der Erinnerung« an nur einige jener homophober Gewaltopfer gemahnt, die vom Gewinnen nicht mehr träumen können.
In Zeiten globalisierter Backlashs stellt sich womöglich als Träumer heraus, wer glaubt, der eigene Nachbar könne niemals für eine SMS des Inhalts »Ich liebe dich« inhaftiert werden, wie es Roger Mbede (gestorben 2014) geschah. Darum, die Geschichten der Opfer ebenso wie Europas und »des Westens« koloniale Verantwortung an der queerfeindlichen Gewalt etwas sichtbarer zu machen, macht sich der genossenschaftliche Filmverleih Drop-Out Cinema verdient, der der bislang nur in wenigen deutschen Kinos gezeigten, engagierten Dokumentation nun einen verdient breiteren Kinostart verschaffte.
»Code der Angst«, Regie: Appolain Siewe, Norwegen/BRD 2024, 84 Min., bereits angelaufen
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