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Aus: Ausgabe vom 10.06.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Industreipolitik

Zoff um seltene Erden

Exportkontrollen Beijings nach Zollattacke Washingtons – erste Produktionsausfälle bei US-Autokonzernen. EU-Handelskommissar als Vermittler
Von Jörg Kronauer
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Mine im chinesischen Bayan Obo: Mineralische Wertstoffe stehen hoch im Kurs, werden händeringend gebraucht

In der Krise um die Versorgung der transatlantischen Industrie mit seltenen Erden aus China zeichnet sich womöglich Entspannung ab. Am Wochenende wurde bekannt, dass EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič bereits am Dienstag in Paris bei einem Zusammentreffen mit dem chinesischen Handelsminister Wang Wentao einen Erfolg erzielen konnte. Demnach könnten Unternehmen aus der EU künftig schneller mit den begehrten Rohstoffen beliefert werden. Außerdem behauptete US-Präsident Donald Trump, am Donnerstag in einem Telefongespräch mit Chinas Präsident Xi Jinping einer Einigung deutlich näher gekommen zu sein. Gelingt da gerade ein Durchbruch, bevor die Lage weiter eskaliert?

Die Situation hatte sich kontinuierlich zugespitzt, seit Beijing am 4. April in einer Reaktion auf die jüngste US-Zollattacke vom 2. April Exportkontrollen über sieben Metalle der seltenen Erden und auf Magnete, die daraus hergestellt werden, verhängt hatte. Es dauerte einige Wochen, bis das zur Umsetzung der Maßnahmen benötigte Verfahren ausgearbeitet worden war. Während dieser Zeit konnten überhaupt keine seltenen Erden aus China bezogen werden. Inzwischen können chinesische Exporteure Ausfuhrgenehmigungen beantragen. Dazu müssen die Käufer jedoch sehr detailliert nachweisen, wozu sie die seltenen Erden benötigen. Ihr Weiterverkauf ist prinzipiell nicht erlaubt; Lieferung zur bloßen Lagerung wird derzeit Berichten zufolge nicht genehmigt. Letzteres gilt auch für Lieferungen zur Fertigung von Dual-Use-Gütern. Das deutet darauf hin, dass die Volksrepublik vor allem westliche Waffenschmieden treffen will –, wie auch die Chinasanktionen des Westens zumindest in ihrer Begründung vor allem auf das chinesische Militär zielen, das keine westliche Technologie erhalten soll.

Auch wenn Ende April von ersten Liefergenehmigungen berichtet wurde – ein VW-Zulieferer etwa soll damals wieder seltene Erden erhalten haben –, so begann der Mangel für westliche Konzerne doch wirklich drückend zu werden. Er soll denn auch einer der Hauptgründe dafür gewesen sein, dass Washington Anfang Mai Beijing um Verhandlungen über einen Abgleich im Zollkrieg bat. Die Verhandlungen führten am 12. Mai in Genf zum Erfolg: Beide Seiten einigten sich, die Zölle drastisch zu senken, während China zusagte, die Genehmigungen für den Export seltener Erden künftig schneller zu erteilen. Die Trump-Regierung torpedierte die Annäherung schon am 13. Mai, indem sie erklärte, wer – wo auch immer auf der Welt – KI-Chips von Huawei kaufe, werde mit US-Strafmaßnahmen belegt; das sei möglich, da die Halbleiter eventuell – genau schien es in Washington niemand zu wissen – US-Technologie enthielten. Der Schritt soll selbst in Teilen der US-Regierungsapparate Bestürzung ausgelöst haben. Er wie auch weitere Restriktionen, so etwa ein Lieferstopp bei US-Flugzeugmotoren und bei Halbleitersoftware, wurden von China völlig zutreffend als Sabotage der in Genf vereinbarten Verbesserung der ökonomischen Beziehungen begriffen. Entsprechend blieben Genehmigungen für die Lieferung seltener Erden in die USA weiterhin aus.

Die Volksrepublik hat sich damit tatsächlich ein wirksames Druckmittel gegen Pressalien der westlichen Staaten gesichert. Ende Mai führte der Mangel an seltenen Erden dazu, dass Ford in einem Werk in Chicago einige Tage lang die Produktion einstellen musste. Gleichzeitig begannen Berichte die Runde zu machen, weitere Unternehmen, darunter auch solche aus der Bundesrepublik, seien inzwischen von ersten Produktionsausfällen betroffen oder stünden kurz davor. Das Wall Street Journal berichtete, erste US-Kfz-Konzerne dächten darüber nach, Teile ihrer Produktion »nach China zu verlagern«, denn fertig verbaute seltene Erden dürfe man exportieren. Die Zeitung kommentierte trocken, das sei »ein bemerkenswertes Ergebnis eines Handelskriegs, der von Präsident Trump mit der Absicht gestartet wurde, Industrie zurück in die USA zu bringen«. Dabei war das offenbar kein Einzelfall. Der Kfz-Zulieferer Schaeffler bestätigte gegenüber dem Handelsblatt, auch er ziehe eine Verlagerung von Teilen seiner Produktion in Betracht, »um Risiken in der Lieferkette abzuschwächen«.

Das war der Zeitpunkt, zu dem sich EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič am vergangenen Dienstag in Paris um Gespräche mit Chinas Handelsminister Wang Wentao bemühte. Das Resultat: Wang stellte eine beschleunigte Bearbeitung der Anträge auf Exportgenehmigungen in Aussicht. Am Wochenende teilte sein Ministerium mit, es sei bereit, zur Vereinfachung der bürokratischen Verfahren einen »grünen Kanal« einzurichten. Die EU-Handelskammer in Beijing berichtete, die Zahl der Genehmigungen nehme tatsächlich zu. Allerdings besteht die Volksrepublik darauf, die Erleichterungen könnten keine Einbahnstraße sein; auch Brüssel müsse sich bewegen. Dem Vernehmen nach dringt Beijing insbesondere darauf, dass der niederländische Konzern ASML seine weltweit einzigartigen Maschinen zur Chipproduktion wieder nach China liefert. Den Haag hatte das auf Druck aus Washington untersagt.

Und während auch US-Kfz-Konzerne meldeten, sie erhielten nun wieder gewisse Mengen seltener Erden, wurden für Montag US-amerikanisch-chinesische Verhandlungen in London anberaumt. Beijing hat darauf bestanden, dass US-Handelsminister Howard Lutnick an den Gesprächen teilnimmt; er ist für die Exportkontrollen zuständig, mit denen Washington chinesische Unternehmen von US-Hightech-Produkten abschneidet. Erhält China weiterhin keine US-Chips – warum sollte es US-Konzernen dann seltene Erden liefern? So lautet die Logik, der man sachlich schwer widersprechen kann. Jetzt muss sich zeigen, wieviel Beijing als Gegenleistung für die Beschleunigung des Exports seltener Erden aushandeln kann.

Hintergrund: Seltene Erden

Seltene Erden haben mehrere Besonderheiten. Die ersten zwei: Trotz ihres Namens sind sie weder selten noch Erden. Mit vollem Namen heißen die insgesamt 17 Elemente, die zu ihnen gehören, denn auch Metalle der seltenen Erden; das klärt die zweite Besonderheit. Und zur ersten wäre zu sagen, dass die 17 Elemente bis auf eines sogar relativ oft vorkommen; einige sind im Erdboden häufiger zu finden als etwa Kupfer. Mangel daran sollte es eigentlich nicht geben. Hier kommen allerdings zwei weitere Besonderheiten ins Spiel.

Die eine: Beim Abbau der seltenen Erden entstehen giftiger Schlamm und radioaktive Strahlung, was den Prozess ihrer Förderung nicht sehr attraktiv macht. Und die andere: Um sie aufzubereiten und weiterzuverarbeiten, sind recht komplexe Technologien erforderlich. Die aber sind heute selten. Der Grund: Über Jahrzehnte hat sich China auf die Förderung der seltenen Erden fokussiert, was im Westen dankbar hingenommen wurde; denn so übernahm die Volksrepublik die – im wörtlichen Sinne – Drecksarbeit, die sie auch noch dank ihrer vergleichsweise geringen Löhne billig erledigte. Auf die Förderung aufbauend spezialisierte sie sich auch noch auf die Aufbereitung und die Weiterverarbeitung und hat dabei heute annähernd ein Monopol. Für den globalen Anteil Chinas an der Förderung seltener Erden kursieren Zahlen von gut 60 Prozent, für Aufbereitung und Weiterverarbeitung von durchschnittlich 90 Prozent.

Abschließend muss Besonderheit Nummer fünf erwähnt werden: Die seltenen Erden bzw. vor allem die aus ihnen hergestellten Magnete werden derzeit für die Produktion zahlreicher Hightechprodukte benötigt – Solarzellen zum Beispiel, Elektromotoren, Halbleiter. Seltene Erden stecken in Windenergieanlagen, in Elektroautos und Lasern, darüber hinaus aber auch in Artilleriegranaten und Raketen. Für die Herstellung eines US-Kampfjets vom Typ F-35 braucht man laut Experten mehr als 400 Kilogramm seltene Erden. Fehlen sie in der Rüstungsindustrie, wird es ernst. (jk)

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