Gegründet 1947 Montag, 2. Juni 2025, Nr. 125
Die junge Welt wird von 3011 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 31.05.2025, Seite 15 / Geschichte
Geschichte Jugoslawien

Auf Augenhöhe

Mit der »Belgrader Deklaration« näherten sich die Sowjetunion und Jugoslavien nach dem Bruch von 1948 wieder an
Von Roland Zschächner
15.jpg
Vorerst gelungene Wiederannäherung – Chruschtschow und Tito in Belgrad (Mai 1955)

Manchmal dauert es nur wenige Tage, um einen langjährigen Konflikt zu beenden. So war es am 2. Juni, als der jugoslawische Präsident Josip Broz Tito und der sowjetische Staatschef Nikita Chruschtschow in Belgrad eine gemeinsame Erklärung unterzeichneten. Damit wurde der Streit zwischen den beiden sozialistischen Ländern zumindest vorläufig beigelegt. Die Beziehungen zwischen den »Bruderparteien« – der KPdSU und dem Bund der Kommunisten Jugoslawiens (BdKJ) – waren wieder normalisiert, und die Isolierung des BdKJ war beendet.

Die »Belgrader Deklaration« markiert das Ende der sogenannten Kominform-Periode, die mit dem Bruch zwischen Tito und Stalin im Juni 1948 begann. Damals ging es vor allem um die Eigenständigkeit Belgrads. Sieben Jahre später konnte sich Jugoslawien behaupten. Es gelang sogar mehr: Der jugoslawische Weg wurde von der sozialistischen Führung in Moskau akzeptiert. Die Historikerin Marie-Janine Calic stellt in ihrer »Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert« einen deutlichen Erfolg für Belgrad fest: »Unter dem Strich hatte sich das kleine Jugoslawien gegen die riesige UdSSR durchgesetzt.«

Diplomatische Verwicklungen

Vor der Unterzeichnung der gemeinsamen Erklärung gab es zahlreiche Gespräche und Verhandlungen. Diese begannen mit der Ankunft des sowjetischen Staats- und Parteichefs am 26. Mai in Belgrad. Die Jugoslawen empfingen ihre Gäste mit offenen Armen; ein Teil des Besuchs wurde auf der Adriainsel Brioni verbracht, der Sommerresidenz Titos. Die Annäherung hatte bereits kurz nach dem Tod Josef Stalins im Frühjahr 1953 begonnen. Im Juli bzw. September desselben Jahres tauschten beide Staaten Botschafter aus. Im Sommer 1954 schickte Chruschtschow zudem einen freundschaftlichen Brief an Tito.

Chruschtschow war nach dem Tod Stalins bemüht, die Beziehung zu Jugoslawien zu normalisieren. Das war für den neuen Parteichef auch ein Element der »Entstalinisierung« und diente zugleich dazu, Belgrad wieder enger an Moskau zu binden. Damit waren sicherheitspolitische Fragen verbunden. Denn Jugoslawien kooperierte mit den USA und der NATO, etwa im Rahmen des mit Griechenland und der Türkei geschlossenen »Balkanpaktes«. Zugleich ließen sich die ehemaligen Partisanen vom Westen wirtschaftlich und militärisch unterstützen. Diese Offenheit war eine Reaktion auf den Bruch von 1948; Belgrad setzte darauf, seine internationalen Beziehungen zu verbreitern, ohne seine Eigenständigkeit aufzugeben.

In Jugoslawien hatte man noch bis in die 1950er Jahre Angst vor einem neuen Krieg. Umstritten war etwa der Status von Triest. Die Stabilisierung der Grenzen und die Festigung der jugoslawischen Rolle in der internationalen Politik waren für Belgrad somit gute Gründe, sich wieder an Moskau anzunähern. Zugleich war man sich aber auch der eigenen Rolle bewusst. Keinesfalls wollte man die Souveränität sowie den eigenen Weg zum Sozialismus aufgeben. Außerdem war man in Belgrad gerade dabei, die Politik der sogenannten Blockfreien Bewegung zu entwickeln, in der Jugoslawien eine wichtige Rolle spielen wollte. Eine Eingliederung ins sowjetische Lager war für Tito und den BdKJ daher keine Option, was der Gegenseite auch deutlich gemacht wurde.

Die vor allem von jugoslawischer Seite verfasste »Belgrader Deklaration« bestand aus drei Teilen. Der größte Teil widmete sich den allgemeinen Grundsätzen der beidseitigen Beziehungen. Ein weiterer Abschnitt bezog sich auf den Prozess der Normalisierung zwischen den beiden Ländern. Schließlich fasste der kleinste Teil die jeweiligen Positionen zu den auf dem Treffen erörterten internationalen Fragen zusammen. Darin fehlten jedoch Standpunkte zu relevanten Themen der Zeit, wie etwa die Zukunft der beiden deutschen Staaten oder die Frage der Abrüstung.

Die jugoslawische Seite hatte bewusst darauf verzichtet, sich bei strittigen Themen zu positionieren. Man wollte sich nicht auf eine Seite in der Blockkonfrontation schlagen. Zu frisch waren die Erinnerungen an das abrupte Ende der Beziehungen mit Moskau und die anschließende Blockade durch die realsozialistischen Länder. Zudem wollte man sich so nicht dem Vorwurf des Westens aussetzen, einseitig für die Sowjetunion Partei zu ergreifen.

Friedliche Koexistenz

Die »Belgrader Erklärung« konnte als späte Reue für den Bruch von 1948 verstanden werden. So hieß es darin, die Achtung der Souveränität, Unabhängigkeit, Integrität und Gleichheit solle die Beziehungen zwischen den beiden Ländern bestimmen. In der Erklärung wurde zudem betont, dass Staaten mit unterschiedlichen politischen Systemen in Frieden koexistieren können und sollen. Sie sprach sich für gegenseitige Achtung und Nichteinmischung in innere Angelegenheiten aus, ganz gleich, ob politischer, wirtschaftlicher oder ideologischer Art. Schließlich wurde jede Form von Aggression und jeder Versuch abgelehnt, ein anderes Land politisch oder wirtschaftlich zu dominieren.

Das Selbstvertrauen der Jugoslawen und ihre Bindung der Bevölkerung an die Kommunistische Partei waren Ergebnis der erfolgreichen Befreiung vom Faschismus und der damit verbundenen sozialen Umgestaltung. Der Ausschluss aus der Kominform 1948 hatte zwar zu Spannungen innerhalb der Partei geführt, doch die Führung um Tito ging gestärkt daraus hervor. Das verstand Chruschtschow, weswegen er als Zeichen seines neuen Kurses auf die Annäherung an Belgrad setzte, auch gegen Widerstände in der eigenen Partei. Zugleich blieb man in Moskau davon überzeugt, dass sich die jugoslawischen Kommunisten auf dem Weg des Revisionismus befanden.

Dagegen verstand man in Belgrad die Geheimrede Chruschtschows auf dem 20. Parteitag der KPdSU 1956 als Bestätigung der eigenen Position. Dass man indes mit Moskau noch längst nicht auf einer Linie lag, zeigte sich nur wenige Monate später im Herbst 1956 infolge des sowjetischen Eingreifens in Ungarn. Zwar nannte Jugoslawien die Intervention ein »notwendiges Übel«, zugleich weigerte man sich öffentlich, die sowjetische Sicht auf die Unruhen und deren Ursachen zu übernehmen.

Die »Belgrader Deklaration« von 1955 ist ein besonderes Dokument des Kalten Kriegs. In ihr gestand die Sowjetunion einem anderen europäischen Land erstmals eine eigenständige sozialistische Entwicklung zu. In der heutigen Erinnerung in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens spielt sie dagegen eine untergeordnete Rolle. Zu kurz hielt die Übereinkunft, zu ereignisreich war die jugoslawische Außenpolitik. Dass diese erst durch den Ausschluss aus der Kominform zu einem bedeutenden Feld für den jugoslawischen Staat wurde, machte sie zugleich zu einem Hindernis für eine Annäherung an Moskau. Belgrad war mittlerweile ein selbstbewusster Akteur der internationalen Politik geworden, der für Frieden, Nichteinmischung und den Kampf gegen Kolonialismus einstand.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

  • Leserbrief von Ralph Petroff aus Schweinfurt (2. Juni 2025 um 03:22 Uhr)
    Diese besagte »Belgrader Deklaration« war der erste Akt der Kapitulation der KPdSU vor dem Revisionismus. Es ging 1948 nämlich mitnichten um die »Eigenständigkeit Belgrads«, sondern um die Richtung dieser Eigenständigkeit. 1956 nahm Nikita Chruschtschow die gesamte Schuld auf die UdSSR – die Vorwürfe seien »Erfindungen imperialistischer Agenten« um Berija gewesen. Doch es war Tatsache, dass sich Jugoslawien an die USA verkauft hatte (warum sonst Waffenlieferungen an ein »sozialistisches« Land?) und über die Hintertür Balkanpakt de facto der NATO beigetreten war. Dass Tito, der für all das verantwortlich war, auf einmal zum »Guten« wurde, ist der Sündenfall der KPdSU, der in Gorbatschows »Perestroika« letztlich seine logische Fortsetzung fand.
  • Leserbrief von David aus Bonn (31. Mai 2025 um 11:07 Uhr)
    Dass es bei dem Bruch zwischen Jugoslawien und dem sozialistischen Lager »vor allem um die Eigenständigkeit Belgrads« gegangen wäre, ist eine irreführende Aussage. Verstrickungen der Führung um Tito mit OSS (später mit dem CIA) und MI6 sind bereits für die Zeit des Krieges nachweisbar und brechen auch nach Kriegsende nicht ab. Tito verfolgte einen anti-sowjetischen Kurs, wie man z. B. im New Herald Tribune vom 26. Juni 1951 lesen kann, wo er erklärte, dass »sich Jugoslawien im Falle eines sowjetischen Angriffs, gleich ob er sich in Europa oder Tausend Kilometer von den jugoslawischen Grenzen entfernt abspielt, augenblicklich und direkt auf die Seite des Westens schlagen wird. […] Jugoslawien betrachtet sich als Teil der Mauer der kollektiven Sicherheit, die gegen den Sowjetimperialismus aufgebaut wurde.«

Ähnliche:

  • Verhandlungen über das Verhältnis zur NATO: Tito mit dem britisc...
    03.08.2024

    Seltsame Partner

    Vor 70 Jahren unterzeichnete das blockfreie Jugoslawien mit den NATO-Ländern Griechenland und Türkei einen »Balkanpakt«
  • »Der ewige Führer des Oktobers - Lenin - hat uns den Weg gezeigt...
    13.01.2024

    Der Antiimperialist

    Der von Wladimir Iljitsch Lenin theoretisch begründete Antiimperialismus behindert linke Regierungsfähigkeit
  • Vor dem Zerwürfnis – Josip Broz Tito, der Staatspräsident Jugosl...
    30.06.2018

    Bruch mit Moskau

    Vor 70 Jahren wurde die Kommunistische Partei Jugoslawiens aus dem Kommunistischen Informationsbüros ausgeschlossen – Tito beharrte auf einem eigenständigen Weg

Mehr aus: Geschichte

                                                                   junge Welt stärken: 1.000 Abos jetzt!