Kriegsertüchtigt – Wir sind wieder wehr
Von Pierre Deason-Tomory
Deutschland in zwei Jahren. Die Merz-Regierung hat ernstgemacht mit der Aufrüstung. Die Wehrpflicht wurde wieder eingeführt, fünf Prozent der Wirtschaftsleistung fließen in den Militäretat, Schulbücher dürfen nur noch gedruckt werden, wenn sie auch für die Vaterlandsverteidigung verwendbar sind. Überall, wie hier im Kreiswehrersatzamt Castrop-Rauxel, werden Reservisten zur Wehraufbauschulung einbestellt, um sie auf die neuen Zeiten vorzubereiten.
»Kameraden! Was tun Sie, wenn Sie für den Fronteinsatz einberufen werden?«
»Ich kneife und schicke meinen Sohn.«
»Ich hau’ ab in die Schweiz.«
»Ich schultere das Gewehr und diene meinem Vaterland!«
»Vorbildlich! Sind Sie Organspender?«
»Natürlich.«
»Ah. Ein Profi. Sehr gut. – Nächste Frage. Stellen Sie sich folgende Situation vor. Ein deutscher Soldat befindet sich mit Geheimauftrag hinter den feindlichen Linien. Es regnet, und er hat Hunger und Durst. Er sieht, wie auf einer Weide ein russischer Bauer seine Kuh melkt. Was macht der deutsche Soldat dann?«
»Er erschießt die Kuh.«
»Nein.«
»Er erschießt den Bauern.«
»Na ja …«
»Er fragt den Bauern, warum er seine Kuh nicht im Stall melkt.«
»Sind Sie Pazifist?«
»Nein. Bauer.«
»Anderes Beispiel. Beim Übergang über den Dnjepr ist Ihre Marschverpflegung nass geworden. Was machen Sie?«
»Den Lieferservice anrufen.«
»Einem Kameraden die Ration wegnehmen.«
»Dasselbe wie Opa: ein Dorf plündern?«
»Sagt man so nicht mehr, aber gut, lassen wir gelten. Weiter. Nach der Plünderung des Dorfes stellen Sie fest, dass ein Mann in der Truppe fehlt. Was machen Sie?«
»Ich nehme ihm die Ration weg.«
»Falsch.«
»Ich bombardiere das Dorf.«
»Kann man so machen, aber …«
»Ich streiche ihn von der Liste, klaue seine Ration und bombardiere das Dorf.«
»Alles richtig! Bravo! Was machen Sie beruflich, wenn nicht Krieg ist?«
»Ich bin Controller bei Tesla in Grünheide.«
»Andere Situation. Sie schleichen sich durchs Dickicht und plötzlich ruft eine Stimme: ›Halt! Wer da?‹ Was antworten Sie?«
»Ich bin der Paketbote! Haben Sie ein Maschinengewehr bei Amazon bestellt?«
»Nicht schießen! Ich bin von der Bundeswehr nur geleast und noch nicht abbezahlt!«
»Ich muss Sie um mehr Ernsthaftigkeit bitten, meine Herren Kameraden, wir sind hier ja nicht im Feuilleton der jungen Welt. Was tun Sie, wenn Sie in einen Hinterhalt geraten?«
»Ich ergebe mich.«
»Ich beschwere mich.«
»Ich werde nie wieder CDU wählen.«
»Ich kämpfe bis zur letzten Patrone!«
»Das ist die richtige Antwort!«
»Danke. Und was mach’ ich dann?«
»Jedenfalls, wie der andere Kamerad hier, nie wieder CDU wählen. Können. Egal. – Stellen Sie sich nun vor, Sie stehen sich Aug’ in Aug’ einem feindlichen Soldaten gegenüber. Ein Duell. Er oder Sie. Schießen Sie?«
»Nein, ich nehme den Publikumsjoker.«
»Ist das verhandelbar? Von so was stand nichts im Kleingedruckten.«
»Was tun Sie, wenn Sie gefangengenommen werden?«
»Eine Zyankalikapsel schlucken.«
»Und wenn die nicht zur Hand ist?«
»Opa hat die Pistole genommen.«
»Sehr gut!«
»Aber wie kriegt man eine ganze Pistole geschluckt, wenn man nichts zum Runterspülen hat?«
»Letzte Frage: Was machen Sie, wenn der Krieg vorbei ist?«
»Ich kehre heim und räume die Trümmer meines Hauses weg.«
»Ich kehre heim und schließe meine Lieben in die Arme. Wenn ich noch Arme habe.«
»Nichts. Wenn der Krieg vorbei ist, werden wir alle tot sein.«
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Mehr aus: Feuilleton
-
Das Versprechen
vom 27.05.2025 -
Nachschlag: Millionen für Mundgeruch
vom 27.05.2025 -
Vorschlag
vom 27.05.2025 -
Eine kalte Welt
vom 27.05.2025 -
Das Blumenwunder (1926)
vom 27.05.2025 -
Wie von Geisterhand
vom 27.05.2025