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Das Blumenwunder (1926)

Von Helmut Höge
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Im Jahr 1926 kam nach vierjähriger Produktionszeit der Film »Das Blumenwunder« in die Kinos – und begeisterte Künstler und Philosophen. Man sprach von einem »biologischen Kino«. Gedreht wurde der von einem Orchester musikalisch untermalte Stummfilm auf dem Versuchsgelände »Limburger Hof« der BASF. Der Vorsitzende des Chemiekonzerns, Carl Bosch, war Hobbybotaniker, seine Firma hatte gerade einen Volldünger – »Nitrophoska« – entwickelt und brachte ihn 1927 auf den Weltmarkt. Der Film war als Werbemaßnahme gedacht, denn der neue Kunstdünger musste bei den Bauern erst noch durchgesetzt werden.

In der Programmzeitschrift für das »Das Blumenwunder« hieß es: »Stickstoff hin, Stickstoff her, Werbezweck hin, Werbezweck her, hier war Höheres zu sehen.« Und das sahen dann auch nach kurzer Zeit über 70.000 Kinobesucher so. Am Anfang werden einige im Garten spielende Mädchen von einer Frau, »Flora« persönlich, darüber belehrt, dass man aus Gedankenlosigkeit und Gewalttätigkeit keine Pflanzen ausreißen darf.

Der philosophische Anthropologe Max Scheler schrieb seiner Frau, er hätte im Kino fast geweint: »Man sieht die Pflanzen atmen, wachsen und sterben. Der natürliche Eindruck, die Pflanze sei unbeseelt, verschwindet vollständig. Man schaut die ganze Dramatik des Lebens – die unerhörten Anstrengungen.«

Ein anderer philosophischer Anthropologe, Helmuth Plessner, war da gegenteiliger Ansicht: »Natürlich macht es Eindruck, wenn man im Film die Bewegungen etwa einer Ranke oder Winde« sieht. Aber dabei eine Empfindungsfähigkeit zu unterstellen, sei grundsätzlich ein »Verrat am Wesen der Pflanze«.

Ähnlich sah das auch der Lebensphilosoph Ludwig Klages. Er sprach von einer »Sachverhaltsfälschung«, »wenn im zeitverdichtenden Laufbild die Tabakspflanze hastig in die Höhe schießt und Wurzeln schlangenartig auseinandergleiten …« Wie wir ja wüssten, liegt der Zeitballung wie Zeitzerdehnung eine »Loslösung der metrischen Zeit von der Wirklichkeitszeit zugrunde«. Klages konstatiert daher eine »Wesensverfehlung in den zeitgerafften Pflanzenbewegungen«.

Für Walter Benjamin waren diese Fotos und Filme von Pflanzen hingegen eine willkommene »Erweiterung des Blicks«, mit dem die gezeigten »Formen den Schleier, den unsere Trägheit über sie geworfen hat, von sich abtun«. Er schrieb: »Ob wir das Wachsen einer Pflanze mit dem Zeitraffer beschleunigen oder ihre Gestalt in vierzigfacher Vergrößerung zeigen – in beiden Fällen zischt an Stellen des Daseins, von denen wir es am wenigsten dachten, ein Geysir neuer Bilderwelten auf.«

Aus einem ganz anderen Grund davon begeistert war der Schriftsteller Ernst Fuhrmann, der nicht nur ausführlich »Das Blumenwunder« würdigte, sondern auch selbst – gestützt auf die gleichermaßen botanischen wie künstlerischen Aufnahmen zweier Fotografen – 1924 unter dem Titel »Die Welt der Pflanze« eine illustrierte Reihe mit Monographien einzelner Pflanzengruppen herausgab, daneben den Bildband »Die Pflanze als Lebewesen« (1930). Sie sollten helfen, »sich auf das Wesen der Pflanze zu konzentrieren«.

Der Schriftsteller Franz Jung sah in Fuhrmanns Arbeiten eine »Bloßlegung der geheimen Fäden, die Mensch, Tier und Pflanze verbinden«. Alfred Döblin rezensierte Fuhrmanns Fotobuch in der Frankfurter Zeitung, wobei er erwähnte, auch selbst vom »Blumenwunder«-Film beeindruckt worden zu sein. Danach habe er sich gefragt: »Was soll man jetzt machen? Tiere kann man nicht essen, nun sind auch noch die Pflanzen lebendig, jetzt fürchte ich mich, in ein Kohlblatt zu beißen.«

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