Wie von Geisterhand
Von Barbara Eder
Zuerst war er nur entzweit, dann lag er in Trümmern: Der Konzertflügel, den Friedrich Achleitner und Gerhard Rühm am 15. April 1959 im Rahmen ihrer Aktion »zwei welten« mit Beilen zerlegten, war nicht das einzige Symbol saturierter Bürgerlichkeit, das an diesem Abend zu Bruch ging. Rund 700 Neugierige hatten sich im Porrhaus unweit des Wiener Karlsplatzes versammelt, als die Wiener Gruppe zum »zweiten literarischen cabaret« lud. Oswald Wiener schilderte die Aktion später in der für ihn typischen Kleinschreibung: »achi warf im hintergrund des saales seinen motorroller an und fuhr, mit rühm auf dem rücksitz, durch den mittelgang zur bühne vor. beide schwangen sich runter, öffneten mitgebrachte koffer, legten fechtmasken an und zertrümmerten den flügel mit beilen.«
Die Flügelfiletierung der Wiener Gruppe gilt heute als eine der frühesten Formen von Aktionskunst: Kahlschlag statt Klavierkonzert, Holzsplitter statt Tonleitern. In einem Land, das Mozart und Liszt als Exportgut verwaltet, galt dies als besondere Provokation. Sie hätte sich auch anders gestalten lassen: Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es erste Musikautomaten, die spielerfrei funktionierten. An diese frühen »Player Pianos«, auch Pianolas genannt, wird am »Old Time Player Piano Day«, dem 27. Mai, erinnert.
Bei einem »Player Piano« werden die Tasten per Notenrolle gesteuert – ein Papierstreifen mit Lochmuster, der beim Durchlauf Hebel und Ventile aktiviert. Wo ein Loch ist, kann Luft durchströmen und die Taste wird angeschlagen. Der Prototyp dazu stammt aus dem Jahr 1895 und wurde von Edwin Scott Votey, einem US-amerikanischen Orgelbauer und Erfinder, entwickelt. Die Aeolian Company übernahm wenige Jahre später die Rechte an seiner Konstruktion und vermarktete sie unter dem Namen Pianola. Zu den ersten Modellen zählten sogenannte Push-up Player – mobile Vorsetzer, die man vor ein normales Klavier schieben konnte, um es automatisch spielen zu lassen. Anfangs musste dabei noch ein Mensch in die Pedale treten.
Im Herbst 1902 stellten Ludwig Hupfeld und Robert Friesdorf auf der Leipziger Michaelismesse eines der ersten selbsttätig spielenden Klaviere im deutschsprachigen Raum vor: die Phonola, ein Instrument mit pneumatischem System und gelochter Papierrolle als Speichermedium für eine analoge Maschine mit musikalischem Output. Ab 1904 kamen die ersten Reproduktionsklaviere auf den Markt. Sie konnten nicht nur Noten automatisch abspielen, sondern auch Anschlag und Ausdruck des Originalinterpreten wiedergeben. Im Museum für Musikinstrumente der Universität Leipzig, 1929 gegründet, klimpern die Tasten schon seit mehr als einem Jahrhundert wie von selbst. Ausgestellt ist dort ein mit dem Klavier verwandtes Tasteninstrument, dessen Pfeifen per automatisierter Luftzufuhr zum Klingen gebracht werden. Die Kinoorgel des Herstellers M. Welte & Söhne aus den Jahren 1930/31 wurde ursprünglich für den UFA-Palast in Erfurt gebaut, selbsttätige Blasebälge pressen dabei Luft durch das Register. Die Orgel verfügt über unterschiedliche Klangfarben und Effekte, Kinosäle ließen sich damit live bespielen.
Zwischen 1890 und 1930 galt Leipzig als inoffizielle Metropole der automatischen Musikinstrumente. Die im dortigen Grassi-Museum ausgestellten Automaten erzählen von einer Epoche, in der die Arbeit am Instrument zunehmend ersetzbar wurde. Mithilfe von Lochscheiben, später durch Notenrollen, konnten Töne automatisch generiert werden. Beim Chaos Computer Congress in den Hallen der Hamburger Messe war zuletzt ein Musikautomat zu sehen, der diese Geschichte auf ungewöhnliche Weise fortsetzt: »The Instrument« von Beate Engl, Justin Lieberman und Pancho Schlehuber besteht aus einem Pianola mit pneumatischem Vorsetzer von 1908. Ein Staubsauger erzeugt den Unterdruck, durch den die Notenrolle über einen Gleitblock bewegt wird. Das Lochmuster ist der »Tabulae Caelestes«, einer Sternkarte des Astronomen Richard Schurig von 1886, nachempfunden: Die eingestanzten Entsprechungen für größere oder näher gelegene Sterne aktivieren mehrere Tasten der Klaviatur, kleinere oder weiter entfernte Sterne hingegen nur eine einzige. In einem Loop führt die schwarze Papierrolle aus dem Gerät heraus und über zwei Tageslichtprojektoren zurück zum Pianola. Die in sich geschlossene Bewegung sorgt nicht nur für abstrakte Klänge, sondern auch für Lichtpunkte am Plafond. Mechanik mit metaphysischem Beiklang, ganz ohne Zwerg in der Puppe, ohne Mensch im Apparat. Stücke wie diese können nur »Player Pianos« spielen – die dafür nötige Geschwindigkeit beim Handwechsel überfordert jede menschliche Physiologie.
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