Eindeutig zweideutig
Von Reinhard Lauterbach
Eine der ersten Amtshandlungen der neuen Bundesregierung war bekanntlich, keine Angaben zu den deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine mehr zu veröffentlichen. Kanzler Friedrich Merz hat sich dazu auch einen eigenen Slogan einfallen lassen: »strategische Zweideutigkeit«. Gemeint ist damit, Russland bewusst im Unklaren darüber zu lassen, wie weit die deutsche »Hilfsbereitschaft« zugunsten von Kiew geht. Die Bundesregierung strebt mit anderen Worten an, sich in einem zentralen Punkt ihrer Außenpolitik unberechenbar zu machen. Angeblich soll Russland damit gedrängt werden, eher Kompromissen zu seinen Lasten zuzustimmen, weil es sich über die Konsequenzen einer harten Haltung, wie sie sich aus der Lage auf dem Schlachtfeld ergibt, nicht mehr klar sein könne.
Wenn sich Friedrich Merz da mal nicht gewaltig täuscht. Wenn sich jemand bewusst unberechenbar macht, führt das dazu, dass man ihm alles zutraut. Auch das Schlimmste. Und das eigene Handeln auf diesen schlimmsten Fall ausrichtet. Egal, wie sehr man an die sprachlichen Verbrämungen glaubt, mit denen sich die »Diplomatie« in Szene setzt – der deutsche Abschied von der Kategorie der »Verlässlichkeit«, mit der Bonn und Berlin jahrzehntelang hausieren gegangen sind, ist unübersehbar. Nicht zufällig haben die USA und die Sowjetunion nach der Kubakrise von 1962 ein »rotes Telefon« schalten lassen. Dass es etwas Ähnliches zwischen Berlin und Moskau gäbe, ist nicht bekanntgeworden. Aber wenn es so ein Telefon für den Notfall geben sollte, dann ist Merz gerade dabei, den Stecker zu ziehen.
Hier liegen im übrigen Hochmut und Lächerlichkeit sehr eng nebeneinander. Beispiel Frankreich: Dessen Präsident hat auch mit dem Begriff der »Ambiguïté stratégique« jongliert, um nach außen offenzulassen, ob Frankreich eigene Bodentruppen in die Ukraine schicken würde. Ein Jahr nach dem Aufschlag ist klar, dass Emmanuel Macron da eher geblufft hat. Von keinen Bodentruppen ist mehr die Rede, allenfalls noch von dem Vorhaben, ukrainische Objekte weit im Hinterland, die man nicht in die Hände Russlands fallen lassen, sondern nach Möglichkeit selbst weiternutzen möchte – sonst wäre die Zerstörung eine preisgünstigere Option – , durch die Präsenz mehr oder minder symbolischer Truppen zu »sichern«. Es haben sich nämlich trotz aller pathetischen Beschwörungen nicht genug »Willige« gefunden, die dabei mitzumachen bereit waren. Jetzt also steckt Merz den Kopf aus dem Fenster und riskiert, ganz genauso wie Macron nass zu werden, wenn es draußen regnet. Sogar noch nasser, denn Frankreich ist Atommacht, die BRD nicht.
Der entscheidende Denkfehler bei der »strategischen Zweideutigkeit« liegt aber woanders. Wer so denkt, hält den Gegner einerseits für dümmer als sich selbst und zweitens, und das ist entscheidend, für verantwortungsvoller. Was das über die Zweideutigkeitsbeschwörer Macron und Merz aussagt, liegt auf der Hand.
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