Anbiedern an Israel
Von Wiebke Diehl
Es hat kein halbes Jahr nach dem Sturz der Regierung von Baschar Al-Assad in Syrien gedauert: Einzig die personenbezogenen Sanktionen »in Zusammenhang mit dem Assad-Regime« sowie das Verbot der Einfuhr von Waffen und Technologien, die zur inneren Repression verwendet werden können, sollen in Kraft bleiben. Das beschloss der Rat der Europäischen Union am 20. Mai und hob alle anderen EU-Sanktionen gegen Syrien auf. Obwohl die neuen Machthaber der Haiat Tahrir Al-Scham (HTS) schwerste Menschenrechtsverbrechen begehen, Minderheiten verfolgen, entführen, vergewaltigen und massakrieren sowie sowohl in der Tradition der Al-Qaida als auch des »Islamischen Staats« stehen, beendete Brüssel seinen seit 14 Jahren geführten Wirtschaftskrieg von einem auf den anderen Tag. Dieser hatte maßgeblich dazu beigetragen, dass 90 Prozent der syrischen Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben und 12,1 Millionen Menschen darunter leiden, zu wenig Nahrung zu haben. Die Tätigkeiten von Hilfsorganisationen wurden durch die »einseitigen Zwangsmaßnahmen« erheblich erschwert. Die UN-Sonderberichterstatterin Alena Douhan hat schon vor Jahren festgestellt, ein menschenwürdiges Leben sei unter den Sanktionen nicht möglich.
US-Präsident Donald Trump hatte bereits im Vorfeld seines Treffens mit dem selbsternannten syrischen »Übergangspräsidenten« Abu Mohammed Al-Dscholani, der sich inzwischen mit seinem bürgerlichen Namen Ahmed Al-Scharaa ansprechen lässt, am 14. Mai in Riad eine Aufhebung der US-Sanktionen gegen Syrien angekündigt. Die Vereinten Nationen, auf deren Sanktionsliste für Terroristen Al-Dscholani steht, erließen für den 7. Mai, an dem der französische Präsident Emmanuel Macron ihn in Paris empfing, eine Ausnahmegenehmigung und setzten das gegen Al-Dscholani bestehende Reiseverbot zeitweilig aus. Trumps Bedingungen für die Aufhebung der Sanktionen sind klar: Syrien müsse gegen »palästinensische Terroristen« vorgehen und sich den »Normalisierungsabkommen« mit Israel, den sogenannten Abraham-Abkommen, anschließen, sagte er unter anderem am 13. Mai.
Die Aufforderung, die vom Iran und Assad unterstützten palästinensischen Widerstandsorganisationen, denen seit 1948 in Syrien Zuflucht gewährt worden war, zu isolieren und letztlich zu zerschlagen, setzt die von Al-Dscholanis HTS getragene »Regierung« längst um. Anfragen des Chefs des Politbüros der Hamas, Khalid Maschal, Damaskus besuchen zu wollen, werden seit Monaten ignoriert. Al-Dscholani hat inzwischen die diplomatische Mission der Palästinensischen Nationalbehörde in Damaskus als offizielle Vertretung des palästinensischen Volkes anerkannt. Im Januar traf er mit einer PLO- und Fatah-Delegation zusammen. Teilnehmer war auch der Sohn des palästinensischen »Präsidenten« Mahmud Abbas, letzterer führt die Amtsgeschäfte seit 2009 ohne demokratische Legitimatio. Der Sohn von Abbas forderte Besitztümer »zurück«, die unter der Regierung Assads Fatah-feindlichen palästinensischen Fraktionen gehörten.
Aber die Maßnahmen gegen die vom Iran und Assad unterstützten palästinensischen Organisationen sind noch drastischer: Nur wenige Tage nachdem sie am 8. Dezember die Kontrolle über Damaskus übernommen hatten, verboten die HTS-Milizen der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), dem Generalkommando der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP-GC), der Saika, einem Ableger der Baath-Partei, und der Märtyrer-Ali-Aswad-Brigade des Islamischen Dschihads (PIJ) den Besitz von Waffen sowie die Unterhaltung von Ausbildungslagern und militärischen Hauptquartieren. Zudem forderte man sie auf, ihre militärischen Formationen so schnell wie möglich aufzulösen, man schloss ihre Büros und beschlagnahmte Vermögenswerte. Die palästinensischen Gruppen hatten unter den Regierungen Hafiz Al-Assads und seines Sohnes (seit 1970) auch der Palästinensischen Befreiungsarmee, die mit der syrischen Armee kooperierte, Personal zur Verfügung gestellt.
Anfang Februar wurde der Generalsekretär der von der Fatah abgespaltenen Fatah Al-Intifada, Abu Hasem Siad Al-Saghir, für mehrere Stunden festgenommen und verhört. Man warf ihm Verbindungen zu den iranischen Revolutionsgarden vor. Nur eine Woche später landete er im Gefängnis und wurde in den Libanon deportiert – nachdem 500.000 US-Dollar für seine Freilassung geflossen waren. Mohammed Kais, der Generalsekretär der palästinensischen Al-Saika, wurde ebenfalls verhaftet und verhört, sein gesamtes Vermögen wurde konfisziert. Ähnlich erging es Talal Nadschi, dem Generalsekretär der PFLP-GC, und Khaled Abd Al-Madschid, dem Generalsekretär der »Nidal-Front«. Beider Vermögenswerte wurden beschlagnahmt und ihre Hauptquartiere sowie Radiosender geschlossen. Abd Al-Madschid musste in die Vereinigten Arabischen Emirate flüchten. Nadschi wurde Anfang Mai erneut verhaftet. Zwei Wochen zuvor hatte es Khalid Khalid und Jasser Al-Safari, zwei hochrangige Funktionäre des Islamischen Dschihads, getroffen.
Der neue antipalästinensische Wind, der in Syrien weht, trifft auch das UN-Flüchtlingshilfswerk UNRWA. Zwar wird das 1949 gegründete Hilfsprogramm, das als Lebensader für palästinensische Flüchtlinge in den besetzten Gebieten und in den Nachbarländern gilt, nicht offen ins Visier genommen. Man verweigert ihm aber weitgehend die Kooperation. Zudem gibt es Anzeichen, dass die Behörden die Lagerverwaltung nach jordanischem Vorbild übernehmen wollen. Wie US-Medien seit einigen Wochen berichten, laufen gar Gespräche zwischen Damaskus und Washington, bei denen es um eine mögliche Aufnahme Zehntausender vertriebener Gazabewohner in Syrien geht – wiederum im Austausch für eine Aufhebung der Sanktionen.
Hintergrund: »Normalisierung«
Am 8. Mai hat die israelische Zeitung Haaretz bekanntgemacht, dass Vertreter der neuen syrischen Machthaber einen Monat zuvor Tel Aviv besucht hätten, um israelische Beamte des Verteidigungsministeriums zu treffen. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters haben die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) das direkte Treffen arrangiert, bei dem es um Sicherheits- und Geheimdienstangelegenheiten gegangen sei.
Ende April hatte der Vorsitzende des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten im US-Repräsentantenhaus, Cory Mills, nach einer Damaskus-Reise berichtet, der syrische De-facto-Machthaber Abu Mohammed Al-Dscholani habe sich »unter den richtigen Bedingungen« interessiert gezeigt, den von Donald Trump in seiner ersten Amtszeit vermittelten »Normalisierungsabkommen« mit Israel beizutreten. Ebenfalls im April schickten syrische »Regierungsvertreter« einen Brief nach Washington, in dem sie um eine Lockerung der Sanktionen baten und beteuerten, man werde zu keiner Bedrohung für Israel werden.
Dass die Milizen der HTS der fortschreitenden israelischen Besatzung in Syrien nichts als ein paar leere Erklärungen entgegensetzen, ist offensichtlich. Tel Aviv gibt sich verbal von den dschihadistischen Herrschern nebenan bedroht. Faktisch hat man sie in der Vergangenheit aber mit Waffen, Gesundheitsversorgung, Gehältern und Luftunterstützung gefördert, um die Regierung Baschar Al-Assads, die die palästinensischen Widerstandsorganisationen sowie die libanesische Hisbollah stützte und eine Anerkennung Israels sowie von dessen Annexion der Golanhöhen vehement verweigerte, zu stürzen.
Schon 2015 sagte Al-Dscholani in einem Interview, die Mutterorganisation seiner damaligen Nusra-Front, Al-Qaida, habe Angriffe auf Israel und den Westen untersagt. Kurz nach seiner Machtübernahme und inmitten umfangreicher israelischer Bombardierungen und Vorstöße auf syrisches Territorium erklärte er den Iran zum Hauptfeind. Mit Israel hingegen wolle man keinen Konflikt. (wd)
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