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Aus: Ausgabe vom 27.05.2025, Seite 7 / Ausland
Österreich

Freispruch für Kurz

Österreich: Vorwurf der Falschaussage gegen Exkanzler rechtskräftig zurückgewiesen
Von Dieter Reinisch, Wien
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Mittlerweile als Unternehmer und Investor aktiv: Sebastian Kurz (Wien, 26.5.2025)

Sebastian Kurz ist freigesprochen worden. Das Wiener Oberlandesgericht hat am Montag vormittag in einem Berufungsverfahren das Urteil gegen den ehemaligen österreichischen Bundeskanzler und Exparteichef der konservativen ÖVP aufgehoben. Es sah den Tatbestand der falschen Beweisaussage im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Ibiza-Video als nicht erfüllt an. Der Exkanzler war erstinstanzlich zu acht Monaten bedingter Haft verurteilt worden. Die bedingte Haftstrafe von sechs Monaten gegen den früheren Kabinettschef von Kurz, Bernhard Bonelli, ebenfalls wegen Falschaussage, wurde hingegen bestätigt. Das jetzige Urteil ist rechtskräftig.

In dem Verfahren ging es darum, dass Kurz 2020 vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss des Parlaments seine Rolle bei der Besetzung des Aufsichtsrats der Staatsholding Österreichische Beteiligungs AG (ÖBAG) heruntergespielt haben soll. Die Anklage hatte ihm vorgeworfen, er habe den Eindruck erwecken wollen, mit dem Vorgang im wesentlichen nichts zu tun gehabt zu haben. »Der objektive Tatbestand der falschen Beweisaussage war nicht erfüllt«, erklärte der Richter das Urteil. Denn eine Falschaussage begehe, wer vorsätzlich Tatsachen nicht richtig darstelle. Kurz habe bejaht, dass er selbst in die Bestellung des Aufsichtsrates eingebunden war. Er habe damit die Ja-Nein-Frage, ob er in die Bestellung eingebunden gewesen sei, richtig beantwortet. Die Fragestellerin im damaligen Untersuchungsausschuss, Stephanie Krisper von den liberalen Neos, sei mit der Antwort nicht zufrieden, die Fragezeit jedoch vorbei gewesen.

Am Montag verteidigte sich Kurz vor Gericht, er sei bei der Beantwortung der Frage unterbrochen worden. Niemand könne wissen, was er noch habe sagen wollen, erklärte er. Dieser Behauptung folgten die Richter schließlich. Kurz habe nicht den Eindruck erweckt, dass seine Frage abschließend beantwortet worden sei, meinten diese nach dem Studium der Videoaufnahmen des Ausschusses. Im Urteilsspruch heißt es: »Man kann keinem Zeugen zumuten, dass er sich über eine Stunde merkt, da sollte ich noch etwas anmerken, wenn nicht einmal die Fragende noch etwas nachsetzen will.« Kurz habe in seiner Antwort vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss ausschweifend geantwortet und sei missverstanden worden. Es sei jedoch nicht die »Bringschuld« des Altkanzlers, präzise zu antworten, sondern die Aufgabe der Fragesteller, genau nachzufragen. Krisper war für den Vorsitzenden Richter daher sogar die Hauptentlastungszeugin.

Bonelli sei im Ausschuss dagegen anders und besser befragt worden, habe keine Möglichkeit gehabt abzuschweifen und habe daher vorsätzlich falsch ausgesagt, begründeten die Richter die Bestätigung des Urteils gegen den ehemaligen Kabinettschef. Die Staatsanwaltschaft betonte dagegen am Montag vor Gericht nochmals, »dass beide Angeklagten sehr und intensiv eingebunden waren in die Bestellung der Aufsichtsräte. Der Finanzminister war nicht frei in seiner Entscheidung.« In einer ersten Reaktion zeigte sich die ÖVP erfreut. Der Freispruch zeige, dass der Rechtsstaat funktioniere, jubelte ihr Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl: »Ich freue mich, dass Sebastian Kurz seine Unschuld beweisen konnte.«

Gegen den Exkanzler laufen derzeit noch weitere Ermittlungen, etwa in der sogenannten Inseratenaffäre: Der Vorwurf lautet hier, dass mit Steuergeld aus ÖVP-geführten Ministerien Umfragen sowie Regierungsinserate bezahlt und in Medien plaziert worden seien, von denen Kurz und die ÖVP profitiert haben sollen. Nach Bekanntwerden dieser Vorwürfe war Kurz im Oktober 2021 als Kanzler zurückgetreten.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (27. Mai 2025 um 10:29 Uhr)
    Sebastian Kurz: Kein Lügner – nur ein sparsamer Erzähler. Im U-Ausschuss war er nicht falsch, nur… unvollständig. Die Justiz verneigt sich vor dem Detail – die Öffentlichkeit sieht das große Bild: Ein Kanzler, der viel wusste, wenig sagte – und damit durchkam. Das reicht offenbar für einen Freispruch – im strafrechtlichen Sinn!

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