Exkanzler Kurz schuldig
Von Dieter Reinisch, WienÜberraschend hat sich der ehemalige österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz am Freitag abend nach einem langen Gerichtstag der Öffentlichkeit gezeigt. Am Abend war er zu einer achtmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt worden. Der Mitangeklagte, sein ehemaliger Kabinettschef Bernhard Bonelli, erhielt sechs Monate. Die beiden mussten sich seit Oktober wegen Falschaussage in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss vor Gericht verantworten. Wenig überraschend empfindet Kurz seine »Verurteilung als sehr ungerecht« und wird in Berufung gehen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, dennoch bedeutet es wohl das endgültige politische Ende des einstigen Strahlemanns der »neuen Konservativen« weit über die Grenzen Österreichs hinaus.
Anlass für das Verfahren war die sogenannte Ibiza-Affäre rund um ein Skandalvideo des damaligen FPÖ-Vizekanzlers Heinz-Christian Strache. Gegenüber einer Schauspielerin, die sich als russische Oligarchin ausgab, sprach er in einer Villa auf Ibiza offen von den Korruptionsplänen der FPÖ. Das Video führte zum Koalitionsbruch zwischen der FPÖ und der ÖVP unter Kurz. Im Jänner 2020 wurde ein parlamentarischer »Untersuchungsausschuss betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung« eingesetzt. Rasch drehte sich dieser um das Umfeld des damaligen Kanzlers. Im Herbst 2021 kam es zu Hausdurchsuchungen bei seinen Vertrauten. Nachdem Kurz am 9. Oktober 2021 bereits als Bundeskanzler zurückgetreten war, trat er am 2. Dezember 2021 auch von seinen Funktionen als ÖVP-Obmann und Klubobmann zurück.
Nach dem Urteil vom Freitag meldeten die Anwälte von Kurz und Bonelli Nichtigkeit und volle Berufung an, die zuständige Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gab keine Stellungnahme ab. Das Urteil für Kurz betraf Aussagen zur Aufsichtsratsbestellung in der Österreichischen Beteiligungs-AG (ÖBAG). Sie verwaltet die Beteiligungen der Republik an einigen börsennotierten Unternehmen. Freisprüche gab es zur ÖBAG-Vorstandsbesetzung mit Thomas Schmid, damals einer der engsten Vertrauten von Kurz, und zur sogenannten Schmid-Schiefer-Vereinbarung, bei der es um Absprachen zwischen ÖVP und FPÖ zu Postenbesetzungen ging. Schmid wurde seither ein Belastungszeuge gegen Kurz.
Der Gesetzgeber stelle eine Falschaussage vor dem U-Ausschuss mit einer vor Gericht gleich, erläuterte Richter Michael Radasztics sein erstinstanzliches Urteil. Er nannte die Aussagen des Belastungszeugen Schmid »glaubwürdig« und »differenziert«. Die beiden am Freitag von der Verteidigung gebrachten russischen Entlastungszeugen beurteilte der Richter dagegen als nicht glaubwürdig.
Kurz selbst betonte in seinem Schlusswort, »Herr Rat, Sie können mir glauben«, dass es nicht seine Absicht gewesen sei, wegen Falschaussage vor dem Strafrichter zu landen. Er hätte sich sicher besser vorbereiten können auf seine Befragung im U-Ausschuss und er könne sich sicher nicht an jedes Detail erinnern, verteidigte sich Kurz und beklagte erneut, von der WKStA falsch interpretiert worden zu sein. Bonelli ließ die letzten drei Jahre des Verfahrens sehr persönlich Revue passieren, verwies auf Sorgen seiner Kinder und zwei Wallfahrten, berichtete der öffentlich-rechtliche ORF vom letzten Prozesstag.
»Es handelt sich um ein unerwartetes Urteil«, erklärte ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker in einer ersten Reaktion nüchtern und distanziert: »Ich hätte Kurz und Bonelli gewünscht, dass im erstinstanzlichen Verfahren eine andere Entscheidung erfolgt wäre.« Erwartbar anders die Reaktionen der Opposition: »Brutaler Machtmissbrauch, Freunderlwirtschaft und eine ÖVP-Parteibuchwirtschaft der Sonderklasse haben die Zeit unter Kurz geprägt«, so SPÖ-Burgenland-Klubobmann Roland Fürst.
Auch wegen anderer Vorwürfe ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den Exkanzler. Seit seinem Ausstieg aus der Politik leitet er ein israelisches Spionage-Startup als Teil des Firmenimperiums von Trump-Unterstützer und »Alt-Right«-Milliardär Peter Thiel aus den USA.
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