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Aus: Ausgabe vom 26.05.2025, Seite 11 / Feuilleton
Alltag

Dauerangeschickert uralt werden: Drogen und Gesundheit

Von Marc Hieronimus
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»Wer weiß, ob mir die Entspannungsfreunde und -helfer überhaupt gefährlich sind?«

Gestern Nacht hatte ich eine Erleuchtung. Na, sagen wir, mir ging ein Licht auf. Beim Genuss stimulierender – wohlgemerkt ausschließlich seit spätestens 1. Juli 2024 legaler – Substanzen dachte ich über deren statistisch erwiesene gesundheitsschädigende Wirkung nach. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen sagt z. B., Studien zu Herz-Kreislauf-Problemen und bestimmten Krebsarten zeigten »eine lineare Beziehung zwischen dem Ausmaß von Alkoholkonsum und Sterbewahrscheinlichkeiten«, weshalb ja neuerdings die Empfehlung ist, lebenslänglich trocken zu bleiben. Klar, kennt auch jeder den kerngesunden Onkel, der bis 95 geraucht oder mit 95 damit wieder angefangen hat, wie in meiner substanzenbedingt zugegeben ein wenig beeinträchtigten Erinnerung Ernst Jünger. Recherchieren Sie das bitte selbst. Zuzutrauen wäre es ihm jedenfalls.

Wie gesagt, »Erleuchtung« war etwas hochgegriffen, aber das war sie ja auch noch gar nicht. Der helle Gedanke lautet: Der Blick ist falsch. Es gibt kein Kontinuum, sondern Menschen gliedern sich in Gruppen mit gewissen Krankheitsanfälligkeiten, und je nach Betrachtungsweise oder Forschungsfrage findet man sich mal in der einen, mal in der anderen wieder. Die eine Sorte stirbt vielleicht sowieso oft an Leberzirrhose, während die andere selbst dauerangeschickert alle Gesundspunde überlebt. Die Medizin weiß das oder wagt es zu ahnen, spricht von Gendispositionen, Blutgruppenspezifik, »Krebspersönlichkeit« usw.

Auch die Temperamenten- und Konstitutionslehre ist nicht völlig aus der Luft gegriffen. Ein Leptosom ist kein Lebemensch und wird bestimmt auch anders krank. Wer weiß, wie das alles zusammenhängt. Wieviel Wissen wurde vergessen, verdrängt, vernichtet, von Druiden und Hexen bis zu den »Naturvölkern« unserer Tage, die keine Chemo und keine Transplantation, aber auch keinen Diabetes und keinen Herzinfarkt kannten. Wer weiß, ob mir die Entspannungsfreunde und -helfer überhaupt gefährlich sind. Aus Freude und Erleichterung habe ich mir gleich noch einen angesteckt.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (25. Mai 2025 um 21:10 Uhr)
    Vor ungefähr sechzig Jahren hat einer meiner Kumpel gesagt: Rauchst, stirbst. Rauchst net, stirbst a.

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