Out of the ordinary
Von Alexander Kasbohm
Robert Forster ist trotz all seiner Schlacksigkeit eine monolithische Erscheinung, ein Orientierungspunkt, eine Respektsperson mit natürlicher Autorität. Um so bestürzender war es, mitzuerleben, wie er sein letztes Konzert 2023 in Hamburg vom emotionalen und physischen Stress überwältigt abbrechen musste. Zu der Zeit unterzog sich seine Frau Karin daheim im australischen Brisbane einer Krebsbehandlung, und die Anreise aus Dublin, wo Forster am Vorabend gespielt hatte, war abenteuerlich. Die meisten hätten das Konzert vermutlich gar nicht erst begonnen.
Das Album, mit dem er damals tourte, war das zurückhaltende »The Candle & The Flame« (2023), das in schwierigen Zeiten im Familienkreis eingespielt worden war. Ein sehr gutes Album, aber eben auch eines, das auf niedriger Flamme kocht. Genau das Album, das er zu der Zeit machen musste. Auf »Strawberries«, dem jüngsten, wirkt Forster regelrecht revitalisiert, er strotzt vor nahezu jugendlicher Energie und die Songs zählen zu den besten, die er in seiner langen Karriere aufgenommen hat. Auch seiner Frau geht es, wenn man das vorab veröffentlichte charmante Video zum Titelsong als Grundlage nehmen kann, wieder bestens.
Aufgenommen hat Forster diesmal mit Peter Morén von der schwedischen Band Peter Bjorn and John. Während Morén betont, wie genau Forster weiß, wer er ist und wie er klingen muss, betont Forster, wie sehr Morén ihm geholfen hat, seinen Sound »explodieren« zu lassen und völlig anders zu klingen. Beide Sichtweisen sind vollkommen berechtigt. Im Forster-Universum gelten leicht abgewandelte Naturgesetze, kleine Veränderungen können eine enorme Wirkung entfalten. Alles klingt wärmer, offener und fluffiger als zuletzt. Was nicht als Wertung verstanden werden sollte, das eine ist so gut wie das andere, alles zu seiner Zeit richtig. Einen ähnlich warmen, aber ganz anderen Sound hatte Forster zuletzt auf dem 1996 von Edwyn Collins produzierten »Warm Nights«.
Der erste Song »Tell It Back to Me« baut auf einem Riff auf, das an den Zwischenteil des Stücks »Life’s Been Good« des Eagles-Gitarristen Joe Walsh erinnert (kein schlechter Song, Joe Walsh ist vermutlich der einzige Eagle mit Humor und hörbaren Soloplatten). Wirkte das Riff im Walsh-Song, als gehörte es eigentlich in ein anderes Lied, hat es jetzt seine Heimat gefunden. Ansonsten beobachtet, erzählt und spielt Forster mit der ihm eigenen Präsenz von Liebenden in einem Hotel (»Breakfast on the Train« mit der grandiosen Zeile »›Fuck!‹ Is what she said / As she jumped up out of their bed«), von den kleinen und großen Dingen des Lebens (»Strawberries« und der wichtigen Frage: »They tasted out of the ordinary / But what can ordinary be?«) und über das Leben als Musiker auf Tour (»Such a Shame« mit einer perfekten Selbstbeschreibung: »My agent used to tell me ›You give people the shits‹ / Why can’t you be like everyone else ›Play the hits‹ / That’s a good question and it’s a mystery to me / But I’ve come to see it positively as my destiny«). Jeder Song hätte seine eigene Rezension verdient.
Der Song, der tatsächlich seine eigene Rezension bekommt, ist »Diamonds«, der letzte des Albums. Einer, der nach sieben Stücken des vertrauten Forster auf höchstem Niveau das ganze Album auf den Kopf stellt. Auch »Diamonds« fängt im gleichen Stil an, und dann kommt dieser extrovertierte Ausbruch, Forster channelt den inneren Prince, verzerrte Gitarren, Falsettgesang, ein Saxophon, das sich dem Freejazz nähert. Man kennt solche Metamorphosen von seinen Konzerten, wenn er sich nach 90 Minuten warmgespielt hat und »im Flow« ist. Forster wirft sein Hemd und alle Hemmungen ab, jede Zurückhaltung geht flöten. Dieser eine Song, dieses Statement zum Schluss, macht aus einer eh schon hervorragenden Robert-Forster-Platte etwas vollkommen Außergewöhnliches. Out of the ordinary. But what can ordinary be?
Robert Forster: »Strawberries« (Tapete/Indigo)
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