Äußerst lästig
Von Mawuena Martens
Wer waren noch mal die Werteverteidiger, denen Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte am Herzen liegen? Ach ja, richtig, die EU und ihre Mitgliedstaaten – behaupten diese zumindest bei jeder Gelegenheit. Besonders gerne dann, wenn es darum geht, mit dem Finger auf andere Staaten zu zeigen und diese zu maßregeln. Man selbst hat natürlich eine blütenweiße Weste. Doch so langsam sollten die EU und ihre Mitglieder daran gehen, sich ein neues Gewand zuzulegen. Das alte ist schon so zerschlupflöchert und verschmutzt, dass für eine andersartige Aufmachung weit weniger Propaganda- und Zensurmaßnahmen nötig wären.
Diese Woche kam ein neuer Schandfleck hinzu: In einem offenen Brief fordern neun EU-Länder auf Initiative von Dänemark und Italien, die EU-Menschenrechtskonvention doch bitte nicht überzubewerten. Auch soll die Justiz, in diesem Fall der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, in engere Schranken verwiesen werden. Schließlich sind Gerichte, die auf der Grundlage existierenden Rechts Grenzen setzen, äußerst lästig. Beispielsweise, wenn es darum geht, Asylsuchende und ungewollte Migranten wie Menschen zweiter Klasse zu behandeln, ihnen Rechte zu verwehren oder sie rigoros abzuschieben. Am besten noch in irgendein Land, zu dem sie überhaupt keinerlei sprachliche, familiäre oder sonstige Verbindung haben. So hatte der Gerichtshof zuletzt Fälle gegen Litauen, Lettland und Polen wegen des rechtswidrigen Umgangs mit Asylsuchenden verhandelt. Er hatte zudem dänische Regelungen zur Familienzusammenführung gerügt und Italien verurteilt. Die Unterzeichnerstaaten argumentieren nun mit einer bekannten Forderung nach »Modernisierung« und Anpassung an neue Gegebenheiten: »Was einmal richtig war, mag nicht die Antwort für die Zukunft sein.«
Eine ähnliche Argumentation fahren auch die baltischen Staaten, Polen sowie Finnland beim geplanten oder bereits vollzogenen Ausstieg aus dem Antilandminenabkommen – bis vor kurzem ein kaum vorstellbarer Schritt. Er könnte nicht deutlicher machen, wie offen der westliche Block mittlerweile seine Gleichgültigkeit gegenüber dem Völkerrecht zur Schau trägt. Ähnlich zu bewerten sind die Entscheidung Ungarns, aus dem Internationalen Strafgerichtshof auszuscheiden oder von Bundeskanzler Friedrich »Recht und Ordnung« Merz, den Kriegsverbrecher Benjamin Netanjahu trotz Haftbefehls nach Deutschland einzuladen. Da verwundert es gar, dass sich Deutschland dem offenen Brief (noch) nicht angeschlossen hat. Schließlich gab der heutige Unionsfraktionschef Jens Spahn schon 2023 in einer Talkshow zum besten: »Wir müssen darüber nachdenken, ob die Flüchtlingskonvention und die europäische Menschenrechtskonvention so noch funktionieren. Ich meine, die Flüchtlingskonvention kommt aus den 50er Jahren.«
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