Atomkraftwerke für Vietnam
Von Knut Mellenthin
Russland und Vietnam wollen rasch ein Abkommen über den Bau von Atomkraftwerken aushandeln, heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme vom Sonntag. Veröffentlicht wurde sie anlässlich eines Besuchs des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei Vietnams, To Lam, in Moskau.
Einzelheiten sind bisher nicht bekannt. Es kann daher nicht beurteilt werden, ob das gemeldete Einverständnis wesentlich weitergeht als das Memorandum of Understanding zwischen dem russischen Nuklearenergiekonzern Rosatom und dem Staatsunternehmen Vietnam Electricity (EVN), das im Januar geschlossen wurde. Äußerer Anlass war damals ein zweitägiger Staatsbesuch des russischen Premierministers Michail Mischustin in Hanoi. Rosatoms Generaldirektor Alexei Lichatschow, der in die vietnamesische Hauptstadt mitgereist war, bekundete die grundsätzliche Bereitschaft seines Unternehmens, Vietnam beim Bau von Atomkraftwerken und nuklearen Forschungszentren zu unterstützen. Im Juni 2024 hatte schon Präsident Wladimir Putin dem südostasiatischen Verbündeten einen Besuch abgestattet.
Vietnams Interesse an russischer Nukleartechnologie reicht bis in die 1980er Jahre zurück, das Projekt lag aber zuletzt acht Jahre auf Eis. 2009 war vereinbart worden, in der Provinz Ninh Thuan zwei Atomkraftwerke zu errichten, das eine in Partnerschaft mit Rosatom und das andere gemeinsam mit einem japanischen Unternehmen. Geplant waren damals mehrere Reaktoren mit einer Gesamtkapazität von vier Gigawatt, die in den Jahren 2024 bis 2028 nacheinander in Betrieb genommen werden sollten.
Es kam jedoch anders: Im November 2016 beschloss das vietnamesische Parlament, die Projekte bis auf weiteres zu stoppen. Bei der Entscheidung spielten mehrere Faktoren eine Rolle. Dazu gehörte ein verstärktes Bewusstsein für die nuklearen Risiken durch die Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima am 11. März 2011 sowie der Anstieg der veranschlagten Baukosten und eine Neuberechnung der Rentabilität von AKWs im Vergleich zur Nutzung erneuerbarer Energien.
Am 30. November 2024 stimmte das Parlament dennoch für die Wiederaufnahme der früheren Atompläne. Hintergrund ist der zunehmende Energiebedarf des Landes, das zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt gehört. Hinzu kommt das Interesse, sich von der Kohle zu lösen, um die international angestrebten Klimaziele zu erreichen. Die staatliche Planung sieht vor, Vietnams Energiekapazität, die 2023 mit etwas mehr als 80 Gigawatt angegeben wurde, bis 2030 auf 183 bis 236 Gigawatt zu steigern. Der Investitionsbedarf für das Erreichen dieses Ziels wird auf ungefähr 136 Milliarden Dollar geschätzt.
In diesem Zusammenhang ist der Bau zweier AKWs mit einer Gesamtkapazität von 6,4 Gigawatt geplant, die zwischen 2030 und 2035 ans Netz gehen sollen. Weitere Atomkraftwerke mit einer Gesamtkapazität von acht Gigawatt könnten nach Angaben der Regierung in Hanoi bis zur Mitte des Jahrhunderts hinzukommen. Vietnam will darüber nicht nur mit Russland verhandeln, sondern auch mit potentiellen japanischen, südkoreanischen, französischen und sogar US-amerikanischen Partnern, hieß es schon im Februar. Konkretes wurde bisher nicht bekannt.
Russland ist zwar traditionell eng mit Vietnam verbunden, dominiert aber geschäftlich nur bei Waffenlieferungen. Der Handel zwischen beiden Ländern ist mit 3,6 Milliarden Dollar im Jahr 2023 vergleichsweise gering. Im selben Jahr lag Vietnams Handelsvolumen mit China bei 170 Milliarden und mit den USA bei 110 Milliarden Dollar. 2024 übertraf Vietnams Handel mit China 200 Milliarden Dollar.
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