Chancengleichheit? Fehlanzeige!
Von Niki Uhlmann
Fast jedes fünfte Kind in der BRD wächst in Armut auf. Und wer arm ist, bleibt arm. Am Montag veröffentlichte das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung den »Teilhabeatlas Kinder und Jugendliche« 2025, der ein aktuelles Bild dieses Missstands zeichnet. Ausgewertet wurden dafür die vier zentralen Teilhabeindikatoren Wirtschaft, Bildung, Demographie und Infrastruktur, diese wiederum mit geographischen Daten ins Verhältnis gesetzt.
Die zentralen Erkenntnisse in Kürze: Bei den »verschränkten Problemlagen« Kinderarmut und Jugendarbeitslosigkeit zeichne sich eine beachtliche regionale Streuung ab. Obwohl die Stadt erreichbare und »vielfältige Teilhabeangebote« biete, während auf dem Land mit Unterversorgung und dürftiger Infrastruktur gekämpft werden müsse, seien die Interessen der Jugend weitgehend identisch. Nämlich verlange letztere nach »Selbstbestimmung, Mitgestaltung und lokalen Freizeitangeboten«, darunter sichere, diskriminierungsfreie Orte, um Gleichaltrige zu treffen, mehr sportliche, kulturelle und vor allem bezahlbare Aktivitäten. Ferner bessere Beteiligung bei der Gestaltung ihres Alltags.
Die Autoren haben acht Cluster identifiziert. Größtes Cluster seien mit 82 Landkreisen die »teilhabefreundlichen, ländlichen Spitzenreiter«, die überwiegend »im wirtschaftsstarken Baden-Württemberg und im Südwesten Bayerns« liegen. Dort brächen kaum Jugendliche die Schule ab, litten nicht unter Armut, seien von vielen anderen Jugendlichen umgeben und gut angebunden.
Demgegenüber liegen 48 Landkreise, die zum Cluster »überwiegend ländliche Kreise mit teils hohen Teilhabehürden« zusammengefasst wurden, »hauptsächlich in Ostdeutschland«. Nebst langsamem Internet plage dort vor allem die überalternde Bevölkerung die jungen Menschen. Kehrseite und einziger Lichtblick: viele freie Kitaplätze. Ein ähnliches Muster liegt bei den städtischen Clustern vor: »die Wirtschaftszentren im Süden der Republik« Top, die »Nordhälfte des Bundesgebiets«, darunter Berlin, das Ruhrgebiet und Bremen, Flop – »dort lebt fast jedes vierte Kind in einer von Armut betroffenen Familie«.
Ein Grund für die regionalen Unterschiede sei der Faktor, ob ein »harter Strukturwandel« stattgefunden habe oder nicht. Im Ruhrgebiet und in Ostdeutschland grassiere »Jugendarbeitslosigkeit trotz Fachkräftemangel«. Etwa in Großstädten seien vor allem Migranten, Alleinerziehende und Geringverdiener arm, soziale Isolation und Perspektivlosigkeit die Folge. Auf dem Land könnten Arme weiter entferntere Freizeit- oder Bildungsangebote womöglich nicht wahrnehmen. Das Resümee der Studie: »Chancengleichheit? Fehlanzeige!«
Um die Lebenswelt junger Menschen besser abzubilden, wurden in einigen Kreisen der diversen Cluster Interviews geführt. »Ganz schön hier, aber für Jugendliche gibt es nicht so viel«, laute der Tenor demnach in vielen ländlichen Regionen. »Zweckfreie Räume« würden fehlen, in denen Jugendliche sich selbst verwirklichen könnten. Angebote wie Cafés oder Kinos wären »oft zu teuer«. Obendrein fühlten sich viele Jugendliche »in der Öffentlichkeit als Störfaktor wahrgenommen«. Eine zentrale Rolle spielten zudem Vereine, die dank ehrenamtlichen Engagements Versorgungslücken schließen können. Um auch benachteiligten Gruppen Teilhabe zu ermöglichen, brauche es mehr Jugendsozialarbeit.
Letztlich müsse der Jugend schlicht mehr Mitbestimmung eingeräumt werden. Ein Wahlrecht haben viele von ihnen noch nicht. Befragungen fänden zwar statt, würden aber nicht berücksichtigt. Das sorge für Frustration, zumal Jugendbeteiligungsverfahren stellenweise gesetzlich vorgeschrieben sind. Aktuell würden damit allerdings eher besser situierte Jugendliche abgeholt. Besser wäre, die Jugend in ihrem direkten Umfeld zu beteiligen, etwa in der Schule und in der Lokalpolitik. »Wir sind nicht dafür da, den Politikern hinterherzurennen. Die sollten hinter uns herrennen«, wird eine Jugendliche aus Potsdam-Mittelmark zitiert.
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