»Ich habe kein Vertrauen in die Ermittlungen«
Interview: Max Grigutsch, Wuppertal
Im März 2024 verübte der geständige Daniel S. einen Brandanschlag in Solingen und tötete eine vierköpfige bulgarisch-türkische Familie mit zwei Kleinkindern. Im Prozess vor dem Landgericht Wuppertal steht ein rechtes Tatmotiv im Raum. Der Verhandlungstermin am Montag wurde allerdings nach kurzer Zeit vom Vorsitzenden Richter beendet. Was ist der Stand des Prozesses?
Bei der Durchsuchung des Wohnhauses des Angeklagten wurden sehr viele Datenträger gefunden, die seitens der Polizei nicht ausgewertet wurden. Nachdem die Nebenklage diese Auswertung beantragt hatte, kam plötzlich politisches Material zum Vorschein. Jetzt ist die Polizei vom Gericht beauftragt worden, alle Datenträger vollumfänglich auszuwerten. Deswegen verzögert sich der Prozess.
Die Polizei hat die Daten anfangs nicht vollumfänglich ausgewertet?
Die Datenträger wurden gar nicht ausgewertet. Ich habe im Januar einen Antrag gestellt, die Kopien der Daten zu erhalten. Das hat zwei Monate gedauert. Einen Datenträger haben sie dann ausgewertet und 166 Bilder mit politischen Inhalten gefunden.
Wir haben am Montag im Gericht wieder solche Bilder – rassistische »Memes« – zu sehen bekommen. Sind die neu?
Ich habe mich auf die Auswertung der Polizei nicht verlassen und die Daten selbst ausgewertet. Dabei bin ich zusätzlich zu diesen 166 Bildern auf 23 weitere gestoßen. Scheinbar hat man die übersehen. Dann habe ich beantragt, auch diese ins Verfahren einzuführen.
Kann man sich denn generell auf die Ermittlungen verlassen?
Ich habe kein Vertrauen in die Ermittlungen mehr, weil ich nicht weiß, was zurückgehalten wurde. Ich bin ziemlich schockiert darüber, dass sie die Datenträger nicht auswerten wollten, wo doch die Motivationslage des Angeklagten unklar ist. Hier geht es um vierfachen Mord. Es sind vier Menschen gestorben, zwei Kleinkinder, und man sieht ja, welche Priorität das bei der Polizei hatte. Nämlich gar keine.
Auf Druck kam nach einem Jahr heraus, dass im Haus des Angeklagten Hitlers »Mein Kampf« und weitere Bücher mit Nazibezug gefunden wurden. Das Interesse für Aufklärung ist nicht da. Egal, was ich für Anträge stelle, der Staatsanwalt stellt sich dem immer entgegen. Er hält die Tat nicht für politisch motiviert und will jeden Antrag zurückweisen.
Sie wollten Anklage gegen die Polizei erheben. Das ist auch nicht durchgekommen.
Ich habe den Staatsanwalt gefragt, ob er von diesen Büchern wusste, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass die Polizei einfach selbst entscheidet, diese Beweise zurückzuhalten. Das ist nicht ihre Aufgabe, sondern die des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft. Er will nichts davon gewusst haben. Also habe ich Strafanzeige gegen den Polizeipräsidenten und die Durchsuchungsbeamten erstattet. Das hat die Staatsanwaltschaft Wuppertal abgelehnt, es gebe nicht einmal einen Anfangsverdacht. Daraufhin habe ich Beschwerde eingelegt, jetzt liegt es bei der Generalstaatsanwaltschaft in Düsseldorf.
Beim Prozesstermin am Montag wurde jetzt erwähnt, dass es wohl einen handschriftlichen Vermerk gab, den irgendwer ganz am Anfang der Ermittlungen gemacht haben soll, dass es eine politische, rechte Tat sein könnte.
Wer hat den Vermerk gemacht?
Das weiß ich eben nicht. Es gibt Druck von oben, dass das Verfahren an die Polizei in Hagen abgegeben wird. Und die hat wohl den Vermerk gefunden. Der ist handschriftlich abgeändert worden und nie in der Akte gelandet.
Zum Täter selbst: Haben Sie eine Vermutung, ob Daniel S. in der organisierten Neonaziszene aktiv war?
Zum Umfeld des Täters wurde überhaupt nicht ermittelt. Ich weiß nicht, was der für einen Hintergrund hat. Er soll wohl auf keiner Demo gewesen sein. Aber der Hanau-Attentäter war auch auf keiner Demo. Wir hatten auch einen Staatsschutzbeamten im Zeugenstand, der gesagt hat, für seine Generation wäre es normal, dass man über Türken als »Kanaken« spricht, damit sei man nicht rechts. Diese 166 Bilder, so etwas hätte mittlerweile jeder Siebtklässler auf dem Handy, da kann man auf keine politische Richtung schließen. Das ist der Staatsschutz Wuppertal.
Seda Başay-Yıldız ist Rechtsanwältin und vertritt im Prozess um den Brandanschlag Solingen 2024 die Nebenklage
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